Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Holocaust-, Auschwitz-, Dachau- oder Bergen-Belsen-Gedenktag versäumen. Gerhard Schröder hat sich als Bundeskanzler ein Holocaust-Mahnmal gewünscht, »wo man gerne hingeht«. Man kann sich einen solchen Wunsch nur damit erklären, dass die Deutschen an Waschzwang leiden, aber Angst vor der Katharsis haben.
Im August 2003 – der Irakkrieg hatte gerade begonnen – sagte Grass in einem »Spiegel«-Interview, in dem es eigentlich um seinen Gedichtband »Letzte Tänze« ging: »Siegen macht gelegentlich dumm« – womit er natürlich die USA meinte, »ein großes, geradezu übermächtiges Land«, das »aus seinen wenigen Niederlagen nichts lernt«, während »wir« aus unseren vielen Niederlagen sehr wohl gelernt haben, unter anderem, dass Armut nicht nur zu Poverte führt, sondern auch zum Terrorismus: »Es gibt weltweite Armut, eine Ungerechtigkeit zwischen den armen und den reichen Ländern – darin liegt auch der tiefe Grund für den zunehmenden Terrorismus: in der Enttäuschung dieser armen Länder, die in Hass umgeschlagen ist.«
Ja, wenn Liebe in Hass umschlägt und dazu noch der Magen knurrt, bleibt einem nur ein Ausweg übrig: »Man sollte sich fragen: Warum sind junge Menschen bereit, Selbstmordattentate zu begehen? Das Potenzial, den Hunger zu besiegen, wäre ja vorhanden. Das liegt in kanadisch-amerikanischer Hand, bis hin zum genmanipulierten Getreide: Die Abhängigkeit der armen Länder wird immer größer.«
Grass ist ein schönes Beispiel dafür, wie man aus zwei Elementen – Schuld und Scham – ein neues Produkt herstellen und erfolgreich vermarkten kann: den »deutschen Sündenstolz« (Hermann Lübbe). Zweimal Minus ergibt einmal Plus.
Wahrscheinlich verdankt der Dichter seine Popularität eher der Begabung, auf der Klaviatur des Sündenstolzes so virtuos zu spielen, als seinem literarischen Œuvre.
Hatte man in der alten Bundesrepublik noch bis in die siebziger Jahre versucht, das Thema »Holocaust« nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen, geht man, seit die 68er das Thema entdeckt haben, damit heute mehr als offensiv um: »Schaut her, wir waren nicht nur die größten Schurken, wir sind auch die besten Aufarbeiter, die die Welt je erlebt hat! Wir haben aus unserer Geschichte gelernt, ganz anders als alle anderen, vor allem die Amis und die Juden!«
Und deshalb gibt es in Deutschland rund 120 Gedenkstätten für den Holocaust, in denen jedes Jahr ungezählte Veranstaltungen stattfinden. Eine Klassenreise in das nächstgelegene KZ gehört zum Repertoire eines jeden aufgeklärten Geschichtslehrers. Gymnasien tragen den Namen von Anne Frank, nach einer Theodor-Herzl-Oberschule oder einem David-Ben-Gurion-Institut wird man vergeblich suchen.
Jeder pensionierte 68er kennt die »Todesfuge« von Paul Celan auswendig und weiß, dass der »Tod ein Meister aus Deutschland« ist. Was ihn nicht daran hindert, mit einem Palästinensertuch um den Hals zu laufen und Israel einen »Brückenkopf des US-Imperialismus« zu nennen. Er schämt sich für die Untaten der Nazis, findet aber, dass die Hamas eine »legitime Vertretung« der Palästinenser ist, mit der Israel über die Modalitäten seiner Selbstauflösung verhandeln sollte. Es mag ein Verdienst der 68er sein, das Dritte Reich aus dem Abgrund des Vergessens hervorgeholt und zu einem »Diskursgegenstand« gemacht zu haben, heute sorgen sie mit ihrer spätromantischen Begeisterung für Palästina für eine erneute Schubumkehr der Geschichte.
In Verbindung mit der Friedensbewegung, die sich ebenso wie die Waffenproduktion zu einem Gütezeichen »Made in Germany« entwickelt hat, führt der deutsche »Sündenstolz« außerdem zur Bildung eines neuen nationalen Sozialismus. Der will nicht mehr erobern, er will nur Gleichheit und Sicherheit für alle. Freiheit und eigene Verantwortung erscheinen dagegen zweitrangig. Etwas zu riskieren, kommt einem Selbstmordversuch gleich. Das Wohlergehen der Gesellschaft hängt von der Anzahl der »sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse« ab. Man arrangiert sich, mit der Arbeitslosigkeit, die mit Hilfe einer kreativen Statistik geschönt wird, ebenso wie mit Auschwitz, das nicht mehr für Tod und Vernichtung steht, sondern als Symbol einer »Gedenkkultur«, die weltweit ihresgleichen sucht. »Es gibt Völker, die uns um dieses Mahnmal beneiden«, sagte der Historiker Eberhard Jäckel bei der Feier zum fünften Jahrestag der Einweihung des Berliner Holocaust-Mahnmals. Es war der Moment, in dem ich am
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