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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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liebsten aus der Haut gefahren wäre und »Was für ein Glück, dass meine Eltern dazu beitragen durften!« gerufen hätte, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt gewesen wäre, in einer 25 Kilogramm schweren »Stele« aus Holz die Balance zu halten. Eine ältere Gutdeutsche kam auf mich zugelaufen und zischte: »Sie beleidigen das Andenken an die toten Juden!«
    Und genau das hatte ich mir auch vorgenommen, denn die toten Juden sind die Lieblingsjuden der Deutschen – allein schon deswegen, weil sie bei Gedenkritualen nicht stören. Es sind knitterfreie und pflegeleichte Juden, immer und überall willkommen, im Gegensatz zu den lauten und störrischen Juden, die sich weigern, dem Frieden zuliebe aus dem Leben, Pardon, Frau Amirpur: »von den Seiten der Geschichte« zu verschwinden.
    Mich interessieren die toten Juden nicht. Ich war einmal in Auschwitz und kann jedem vom Besuch dieses Open-Air-Museums nur abraten. Man erfährt nichts, was man nicht schon wusste, und das Essen in der KZ-Kantine ist zwar besser geworden, als es vor 70 Jahren war, aber immer noch miserabel. Ich finde es vollkommen absurd, dass jedes Jahr Abertausende von jungen Deutschen durch die Konzentrationslager geschleust werden. Sie sollten besser lernen, dass und warum die Juden ein Recht auf einen eigenen Staat haben. Und wenn aus deutscher Schuld und Scham etwas gelernt werden kann, dann wäre es die Solidarität mit diesem Staat. Ebenso absurd ist, dass jedes Jahr Tausende von israelischen Jugendlichen »als Israelis nach Auschwitz fahren und als Juden zurückkommen«, wie mir einer der Organisatoren dieser Reisen voller Stolz erklärte. Das heißt, sie kommen hysterisiert und traumatisiert zurück und sind überzeugt, dass die Palästinenser die Nazis von heute sind, was ebenso skandalös ist wie die Behauptung, Gaza sei das Warschauer Ghetto von heute.
    Als vor einigen Jahren eine Gruppe israelischer Jugendlicher, zu Besuch in Auschwitz, sich eine Stripperin ins Hotel bestellte, war die Empörung über dieses »unwürdige Verhalten« gewaltig. Aber diese Jugendlichen hatten genau das Richtige am richtigen Ort getan: sich für das Leben und gegen den Tod entschieden. Und nebenbei auch den Unterschied zwischen Juden und Israelis demonstriert.
    Im Gegensatz zu Osama bin Laden und seinen Anhängern finde ich das Leben schöner als den Tod. Es hat einfach mehr zu bieten: die Strandpromenade von Tel Aviv, die heißen Quellen auf Island, den Käsemarkt in Alkmaar, die kostenlose Fähre zwischen Manhattan und Staten Island, den Wellenschlag von Colonial Beach und andere Gottesbeweise.
    Und statt Toten nachzutrauern, finde ich es wichtiger, Lebenden zu helfen, am Leben zu bleiben. Ich fand es richtig, dass der Westen in Jugoslawien und in Afghanistan intervenierte. Ich war für die Intervention in Libyen, völlig unabhängig davon, wer das Land demnächst regieren wird. Und ich halte es für eine Schande, dass wir dem Blutbad in Syrien tatenlos zuschauen, weil eine Intervention »unabsehbare Folgen« nach sich ziehen könnte. Fuck you! Aus Angst vor unabsehbaren Folgen blieben auch die Westmächte passiv, als Polen von den Nazis überfallen wurde. Die nötigen Grausamkeiten müssen am Anfang begangen werden.
    Vergesst Auschwitz! Denkt an Israel – bevor es zu spät ist.

Nachspiel
    Zum 70. Jahrestag der Wannseekonferenz in Berlin, bei der am 20. Januar 1942 die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen wurde, hielt Bundespräsident Christian Wulff eine Rede, in der er die dauerhafte Erinnerung an die nationalsozialistischen Gräueltaten eine »nationale Aufgabe« nannte. Die »nachfolgenden Generationen« sollten sich an »das Entsetzliche« erinnern, das von Deutschland ausgegangen sei. Darüber hinaus sicherte der Präsident den Juden in aller Welt bei Gefahr und Verfolgung die »Verbundenheit« Deutschlands zu.
    Natürlich stellte keiner der Anwesenden die Frage, wie eine solche »Verbundenheit« im konkreten Fall aussehen sollte. Würde die Bundesrepublik eine bedrohte jüdische Gemeinde, vielleicht die von Venezuela, aufnehmen? Ein Bataillon der Bundeswehr zu ihrem Schutz entsenden? Oder meinte der Bundespräsident es eher »symbolisch«, wie Willy Brandt, als er 1973 feststellte, eine »Neutralität der Herzen« könnte es nicht geben und er gleichzeitig die Verschiffung militärischen Nachschubs für Israel über deutsche Häfen verbot?
    Nur zwei Tage, bevor er die Rede zum Jahrestag der Wannseekonferenz hielt, empfing Präsident Wulff

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