Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Haar ist im Nacken länger, sagt sie, an den Schläfen grau und irgendwie nach hinten gekämmt. Aber die Augen sind unverkennbar. Da ist sie sich absolut sicher …«
»Und wir haben Leute drüben bei dem Coffee Shop?«, fragte Miller.
»Zwei Zivilfahrzeuge«, sagte Metz. »Eins vorn, das andere vor dem Hinterausgang. Keiner kommt ungesehen rein.«
Miller ging zum Fenster, wo er einen Augenblick stehen blieb, die Hände in die Hüften gestützt. »Was sagt die Kellnerin, welches Foto sieht ihm am ähnlichsten?«, fragte er Roth.
»Das vierte in der Serie. Volles Haar, rasiert, du weißt, welches?«
»Sicher«, antwortete Miller. Er blickte aus dem Fenster.
»Robert?«
Miller drehte sich zu Roth um. Sein Herz raste. Erregt, fast ängstlich. Es konnte alles bedeuten oder auch nichts. Der Wahnsinn.
»Was ist?«, fragte Roth.
»Ich muss da hin«, sagte Miller. »Ich muss mit der Kellnerin sprechen.«
Die Straßen waren fast leer. Freie Fahrt durch New York Avenue und Fifth Street, vorbei an der Carnegie-Bibliothek, die Massachusetts Avenue hinauf bis L Street. Roth saß am Steuer. Miller drehte sich zur Bibliothek um, die fehlenden Stunden von Catherine Sheridans letztem Tag fielen ihm ein. Noch immer kaum zu glauben, dass es erst vier Tage her war. Wie mochte es Chloe Joyce ergangen sein? Ein neunjähriges Mädchen, dem von fast nichts gar nichts geblieben war. Das Jugendamt dürfte sie mitgenommen und zu anderen Kindern gesteckt haben, deren Leben gegen die Wand gefahren worden waren …
»Da drüben ist es«, sagte Roth in Millers Gedanken hinein.
Leuchtend rotes Neonschild im Fenster - Lavazza . Warmes, gelbes Licht im Inneren ließ das Lokal freundlich und einladend erscheinen. Donovan’s stand auf der Markise.
»Wo steht unser Wagen?«, fragte Miller.
»Gegenüber … Siehst du das Sportgeschäft?«
Miller sah das Zivilfahrzeug, das ein Stück dahinter geparkt war.
»Ich geh da rein«, sagte Miller, »bestell mir’n Kaffee und rede mit der Kellnerin.«
Im Lokal war es so warm, wie es von draußen ausgesehen hatte. Ein Trupp Stammgäste am anderen Ende der langen Theke. Vier Männer, alle um die sechzig. Sie hoben nicht mal den Blick, als Miller und Roth zur Tür hereinkamen, aber als Miller sich setzte und Kaffee bestellte und die Bedienung mit der Kanne herüberkam, sie nacheinander anlächelte und fragte, ob sie etwas zu essen wünschten, nickte einer der Männer Miller zu und sagte: »Ihr kommt wegen derselben Sache wie die anderen, stimmt’s?«
Miller musste lächeln. Das zweite Mal innerhalb weniger Tage hatte ihn jemand als Polizisten erkannt.
»Wir brauchen kein Schild um den Hals, oder?«, sagte Miller. »Man sieht es uns an.«
»So wie ihr hier reinkommt, könnt ihr auch gleich in Uniform kommen«, sagte der Alte und lachte. Die anderen lachten mit.
Die Kellnerin - auf ihrem Namensschild stand Audrey - schenkte ihnen Kaffee ein. Sie stellte die Kanne zurück auf die Wärmeplatte und nahm ihren Platz hinter dem Bartresen wieder ein. Miller schätzte sie auf Anfang vierzig. Sie sah müde, aber nicht erschöpft aus. Vielleicht gehörte ihr der Laden. Vielleicht war das hier mehr als ein schlecht bezahlter Job.
»Hören Sie gar nicht hin«, sagte sie. »Die alten Säcke sitzen hier rum, weil ihre Frauen sie zu Hause nicht mehr ertragen.«
»Mit der Sorte werde ich fertig«, sagte Miller. Er warf noch einen Blick zum Ende des Tresens; die Männer redeten wieder über ihre Dinge. »Sie heißen Audrey.«
»Hab’s auf dem Schild stehen, falls ich es mal vergesse.«
»Ich bin Detective Miller … Robert Miller.«
»Aber ein Bob sind Sie nicht, oder?«
»Nein. Wieso? Haben Sie’s mit Namen?«
»Mit Leuten«, sagte Audrey. »Ich hab’s mit Leuten, aber es ist erstaunlich, wie viel Einfluss der Name darauf hat, wie jemand ist. Ihr Mann, zum Beispiel. Der ist kein John, nie und nimmer.«
Miller schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht.«
Audrey zuckte die Achseln. »Ist nicht schwer. Er nennt sich John, aber auf den Namen ist er nicht getauft.«
»Da sind Sie ganz sicher?«
»Nein, nicht ganz sicher, aber man bekommt eine Antenne für manche Leute. John heißen Männer wie alle anderen. Männer, die mit den Händen arbeiten, Sie wissen schon. Aber der? Der Mann, dessen Foto Ihr Kollege mir gezeigt hat?« Audrey schüttelte nachdenklich den Kopf. »Der ist kein Mann wie alle anderen, auch wenn er für die meisten so aussehen mag, aber ich kann Ihnen sagen, der hat im Leben
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