Vergib uns unsere Sünden - Thriller
überaltert. Hinter einer Milchglastür zu seiner Rechten schien immerhin Leben zu sein, das diskrete Schild sprach von einer Vereinigten Gewerkschaft der Bundesbediensteten. Im dritten Stock stieß er endlich auf die Räumlichkeiten des United Trust. Kein Geräusch von drinnen, keinerlei Bewegung hinter dem Milchglas. Ein schmaler Flur führte nach rechts und links, in beiden Richtungen weitere verwaiste Büros, und ihm wurde klar, dass United Trust, auch wenn Catherine Sheridans Bezüge von hier stammten, nur ein Name war und sonst nichts.
Die Enttäuschung war kaum zu ertragen. Eine Spur, ein
kleiner Faden, so dünn er auch gewesen sein mochte, aber immerhin ein Faden, auf dem eine Spannung lag, wenn man daran zog, bei dem man hoffen durfte, an seinem Ende etwas in der Hand zu haben, etwas von Gewicht … Und dann reißt die Spannung, und man hält nichts als ein Stück losen Faden in der Hand.
Es war wie jedes Mal, er stand wieder mit leeren Händen da.
Miller wollte laut aufschreien und vor Wut die Milchglasscheibe vor seiner Nase eintreten …
Ihm stockte kurz der Atem.
Er trat von der Tür zurück, bis er die Wand in seinem Rücken spürte.
Dann ging er wieder einen Schritt nach vorn und griff an den Türknauf. Die Tür ließ sich nicht öffnen, aber sie war nicht sonderlich massiv. Die obere Hälfte war eine Milchglasscheibe, die untere ein eingesetztes Holzpaneel. Später würde er sich einreden, es gewusst zu haben. Jenseits von Instinkt und Intuition würde er zu dem vernünftigen Schluss kommen, dass Robey auch das hier genau vorausgesehen und eingeplant haben musste. Das war die einzige Erklärung, die er finden konnte, alles andere ergab keinen Sinn. Nichts ergab auch nur den geringsten Sinn, es sei denn, jeder Schritt war im Voraus von Robey exakt geplant und inszeniert worden.
Immer nur halbherzig, lammfromm und bescheiden kam man im Leben nicht recht weiter. Manchmal musste man gewisse Dinge tun, weil es zu ihnen keine Alternative gab.
Ein plötzlicher Lärm von zersplitterndem Holz, ein Lärm, der durch das ganze Gebäude hallte und sogar noch die Angestellten der Vereinigten Gewerkschaft der Bundesbediensteten neugierig und erwartungsvoll die Treppen hochrennen ließ - ein solcher Lärm blieb glücklicherweise aus. Der Fußtritt, mit dem Miller ein gut schuhgroßes Loch in das Türblatt
riss, war eher von einem dumpf knirschenden Splittern und Brechen begleitet. Er streckte den Arm durch das Loch, um die Tür von innen zu öffnen. Sie war nur einfach verriegelt, und als Miller fühlte, wie das Schloss aufsprang, regte sich in ihm etwas wie Erleichterung über die Tatsache, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Er hatte bei einer einzigen Ermittlung schon zweimal das Gesetz gebrochen. Zuerst die Haarbürste aus Robeys Wohnung, und jetzt das hier. Einmal mehr tauchte das Dezernat für interne Ermittlungen in seinen Gedanken auf. Er war ein zwielichtiger Cop, nicht besser als korrupte städtische Amtsträger.
Miller trat einen Schritt zurück und stieß die Tür zu dem Büro auf.
Ein einsamer Schreibtisch, ein schlichter Bürostuhl. Der Raum war nicht größer als fünf, sechs Quadratmeter. Das Fenster war so verdreckt, dass er kaum draußen die Straße erkennen konnte, die Fensterbank war übersät mit toten Fliegen. Es roch staubig, vielleicht hingen noch uralte Reste von Tabaksqualm im Wandverputz, unterlegt vom Modergeruch des seit Urzeiten nicht mehr gereinigten Teppichbodens.
Auf der rechten Seite stand ein einzelner Aktenschrank aus grauem Metall mit drei Schubladen. Miller nahm einen Latexhandschuh aus seiner Innentasche und öffnete die unterste Lade. Sie war leer, die darüber auch, aber in der obersten lag ein einzelner weißer Briefumschlag. Er nahm ihn vorsichtig heraus und drehte ihn um. Er war zugeklebt, aber er enthielt etwas.
Miller schaute sich vorsichtig um in Richtung Flur, sah zum Fenster, dann öffnete er behutsam den Umschlag.
Es war das gleiche Foto. Auf der Rückseite dieselben Worte. Weihnachten 82 . Nur dass diesmal John Robey und Catherine Sheridan auf dem Foto nicht die einzigen Gesichter waren, die ihm entgegenblickten. Das Bild unter Sheridans
Bett war ein Ausschnitt dieses Fotos gewesen. Hier waren es fünf Gesichter, und er kannte sie alle bis auf eines.
Den Mann links von Robey erkannte Miller sofort. James Killarney, der FBI-Mann aus Arlington. Im Hintergrund, rechts von Catherine, war das allseits bekannte Antlitz des Richters Walter Thorne zu sehen.
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