Vergib uns unsere Sünden - Thriller
das überall.«
Miller schätzte Walter Thorne auf Anfang sechzig. Er maß wahrscheinlich keine eins achtzig, aber die natürliche Autorität in seinem Ausdruck ließ ihn größer erscheinen. Den Richter umgab die Aura großer Bedeutung.
»Sie können von Glück sagen, dass Sie noch am Leben sind«, waren seine Begrüßungsworte für Robert Miller.
Miller hob die Augenbrauen.
»Tun Sie nicht so naiv, Detective Miller … Als wüssten Sie nicht, dass die Kugel, die den Officer am Freitagabend niedergestreckt hat, für Sie bestimmt war!«
»Wie bitte?« Miller fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. Er trat einen Schritt zurück.
»Ich hätte Ihnen mehr Intuition für die Vorgänge hier zugetraut«, sagte Thorne. Lächelnd wies er zu einem Sessel am Fenster. »Bitte«, sagte er, »nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie einen Brandy?«
Miller hob abwehrend die Hand.
»Wie? Keinen Brandy? Dabei sind Sie doch gar nicht im Dienst, Detective … Soweit ich weiß, sind Sie von den Ermittlungen entbunden und können frei über Ihre Zeit verfügen …«
»Der Fall ist vom FBI übernommen worden.«
Thorne lächelte wieder. »Der Fall ist von James Killarney übernommen worden. Und James Killarney und das FBI sind nicht unbedingt dasselbe.«
Miller wollte etwas erwidern, aber sein Kopf war leer. Er
konnte nicht glauben, was Thorne gesagt hatte. Das Foto in seiner Innentasche fiel ihm ein, aber er hielt es für besser, das Pulver nicht zu verschießen, solange er die Spielregeln nicht kannte.
Thorne war mit Karaffe und Cognacgläsern beschäftigt. Dann wandte er sich um zu Miller, in jeder Hand ein Glas: »Das hier ist besser als Brandy«, sagte er. »Ein 29er Armagnac, ein wahrhaft göttliches Gesöff …«
Miller nahm das Glas und trank es auf einen Schluck leer. Hitze wallte in seiner Brust auf.
Thorne hob die Augenbrauen. »Aber, Detective Miller, so trinkt man keinen 1929er Armagnac!«
Miller brachte es nicht über sich, den Richter anzusehen, blickte stattdessen auf seine Hände, die merklich zitterten.
»Sie sind der Sache näher gekommen, als allen Beteiligen lieb sein konnte«, ließ sich Thorne leise vernehmen. »Erst höre ich vom Empfang, dass Sie mich wegen eines Durchsuchungsbeschlusses sprechen wollen, und dann soll auf einmal United Trust das Thema sein.« Thorne sah ihn mit beinahe verständnisvoller Miene an. »Sie überschätzen sich, Detective Miller, und ich gebe Ihnen den Rat, schleunigst mein Büro zu verlassen, sich ins Auto zu setzen, nach Hause zu fahren und sich mal richtig auszuschlafen. Nach ein paar Tagen gehen Sie wieder an Ihre Arbeit und vergessen, dass Sie je von John Robey oder Catherine Sheridan gehört haben oder wer sonst alles mit dieser Affäre in Verbindung stehen könnte.«
»Diese Affäre …«, setzte Miller an.
»Diese Affäre ist das, was wir ein geheiligtes Monster nennen.« Thorne lächelte milde und sah aus, als wüsste er genau, was in Miller vorging.
Miller machte große Augen. Den Ausdruck hatte er schon einmal gehört. John Robey hatte den Begriff benutzt.
» Monstre sacré «, fügte Thorne den französischen Ausdruck
hinzu. »Unser Frankenstein.« Er lächelte noch breiter, als sei ihm schlagartig die Ironie allen menschlichen Strebens zu Bewusstsein gekommen. »Einer unserer vielen Frankensteins«, fügte er hinzu. Er schwenkte das Cognacglas ganz leicht, ehe er es an den Mund hob und schlückchenweise an dem Armagnac nippte. »Ich würde Ihnen ja noch ein Glas anbieten, aber das Zeug ist sündhaft teuer, und Sie scheinen es nicht recht zu würdigen.«
Miller beugte sich leicht nach rechts und stellte das leere Glas auf dem Tisch ab. »Ich verstehe nicht ganz, was hier eigentlich vor sich geht …«
»Und ich fürchte, daran wird sich auch nichts ändern«, erwiderte Thorne. »Tatsache ist, dass in diesem Spiel so viele Karten sind, so viele verschiedene Aspekte und Ansichten darüber, wie das alles gekommen ist, dass wohl kaum jemand über alles Bescheid weiß - es sei denn John Robey. Von uns allen könnte John Robey derjenige sein, der den besten Überblick hat.«
»Von uns allen?«, fragte Miller. »Sie gehören mit dazu?«
»Ich gebrauche das Wort uns im allerweitesten Sinne. Meine Person schließe ich nur insofern mit ein, als ich die Angelegenheit schon über viele, viele Jahre hinweg verfolge. Niemand befasst sich gern oder freiwillig damit. Viele von den Leuten, die das Ganze mit aufgebaut haben, sind mittlerweile verstorben, und die
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