Vergib uns unsere Sünden - Thriller
routinemäßigen Anklageerhebungen oder bei Vorladungen als Zeuge vor Gericht. Außerdem würde Thorne sich noch gut an die interne Untersuchung erinnern und an den kleinen Wirbel in der Presse, den das damals verursacht hatte. Und über die gegenwärtigen Ermittlungen wäre Thorne genauso im Bilde wie Miller selbst. Auch an ihn waren laufend Kopien aller Berichte gegangen. War Thorne Freund oder Feind?, fragte sich Miller. Gab das Foto ihm den Auftrag, ihn zu konsultieren oder gegen ihn zu ermitteln?
Das ließ sich nur in Erfahrung bringen, indem er zu ihm ging und mit ihm sprach.
Er fand das Verwaltungsbüro der Justizbehörde. Am Empfang fragte man ihn nach seinem Anliegen. Er gab einen ausstehenden Durchsuchungsbeschluss als Grund an und wartete, dass man den Richter anrief. Die Angestellte am Empfang teilte Miller mit, dass der Richter zwar im Hause sei, ihn aber nicht empfangen könne. Ob er einen Termin wünsche?
»Könnten Sie nicht kurz anfragen, ob er mir ein paar Auskünfte bezüglich United Trust geben könnte?«
Die Empfangsdame lächelte nachsichtig. »Er ist wirklich sehr beschäftigt«, sagte sie.
»Ich weiß«, gab Miller zur Antwort. »Das stelle ich auch gar nicht in Frage, aber wenn Sie ihn trotzdem kurz fragen könnten …«
Die Empfangsdame rief in Richter Thornes Büro an, sprach mit seinem Assistenten und wartete einen Moment, während ihr Anliegen weitergegeben wurde. Dann zog sie die Stirn in Falten, nickte und erwiderte: »Okay, ich sage es ihm.«
Sie sah Miller an, das nachsichtige Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. »Warten Sie hier«, sagte sie. »Es kommt gleich jemand, um Sie abzuholen.«
57
Miller wartete in wachsender Anspannung, sein Puls beschleunigte sich. Kalter Schweiß stand ihm im Nacken. Vielleicht hätte er besser nach einer Sitzgelegenheit gefragt.
Aber man ließ ihn nicht lange warten. Ein Mann mittleren Alters kam auf ihn zu, elegant gekleidet, dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd mit dunkelblauer, weiß gepunkteter Krawatte. Diese Leute sahen alle gleich aus, leicht zu vergessen, und als er Miller bat, seine Dienstwaffe abzulegen, ihm erklärte, dass sie bis zu seiner Rückkehr sicher verwahrt werde,
und mit ihm zurück zum Hauptausgang ging, ohne sich auch nur vorgestellt, geschweige denn erklärt zu haben, wie es zu dem plötzlichen Sinneswandel bei Richter Thorne gekommen sei - steigerte all das Millers Unbehagen.
»Richter Thorne hat nicht viel Zeit«, erklärte der Mann, während sie auf ein Gebäude an der Straßenecke zugingen. Dort angekommen tippte er einen Code in das Sicherheitspanel am Eingang. Ein Summer ertönte, und die Tür ließ sich öffnen; Miller folgte dem Mann nach drinnen.
Im Flur dahinter roch es nach Büchern und Holz, und Miller dachte an die Carnegie-Bibliothek und die von Catherine Sheridan markierten Bücher; er dachte an den Tag nach dem Mord, als er und Roth in die Bibliothek gegangen waren, um mit Julia Gibb zu sprechen, an den kleinen Zettel, den sie ihnen in der Hoffnung, behilflich zu sein, mitgegeben hatte. Zu Beginn des Falls hatte er nicht die leiseste Ahnung gehabt, wohin die Ereignisse ihn führen würden, und jetzt war er auf dem Weg in die privaten Diensträume von Richter Walter Thorne, einem geachteten und hochintelligenten Mann, einem Mann mit besten Aussichten auf ein Amt am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, vielleicht sogar auf einen Sitz im Senat.
Miller wurde aufgefordert, kurz im Empfangsbereich zu warten, aber nach nicht einmal einer Minute bat man ihn schon in ein luxuriös eingerichtetes Büro mit einer zimmerhohen Bücherwand auf der rechten und Verandatüren auf der linken Seite und teilte ihm mit, dass Richter Thorne gleich bei ihm sein würde.
Miller zog die Gardine, die dem Ausblick auf den Garten im Weg war, ein Stück zur Seite. Die Verandatür führte auf einen von einer Mauer eingefassten, perfekt gepflegten und bereits für den Winter zurechtgemachten Garten, in dessen Mitte eine kleine Urne aus Marmor zwischen zwei reich verschnörkelten schmiedeeisernen Bänken stand. Er war noch
in die Betrachtung des Gartens versunken, als er hinter sich die Bürotür leise zuklappen hörte.
Er drehte sich um, und ein lächelnder Richter Walter Thorne stand vor ihm.
»Bei schönem Wetter sitze ich oft da draußen«, sagte er. »Oder wenn ich vertrauliche Gespräche führe - auch wenn es kaum etwas nützen dürfte. Wenn es jemand darauf anlegt, meine Gespräche mitzuhören, gelingt ihm
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