Vergib uns unsere Sünden - Thriller
bist längst fertig, du weißt es nur nicht. Komm, nimm deinen Mantel.« Er knöpfte sich das Jackett zu, griff nach dem Mantel, den er über die Tischkante geworfen hatte, und bevor Roth zur Besinnung gekommen war, stand er schon draußen auf dem Flur und wartete.
»Der tickt doch nicht mehr richtig«, murmelte Roth. »Der Mann hat nicht nur einen Sprung in der Schüssel.«
Das verstehe ich nicht«, sagte ich.
Catherine rutschte etwas nach rechts, schob vorsichtig ein Bein unter sich heraus. Sie saß mir gegenüber auf dem Sofa in ihrer Wohnung; ich hockte im Schneidersitz auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand, und hielt den Kopf so schief, dass ich beim Reden zur Decke schaute.
»Was verstehst du nicht?«, fragte sie.
Ich wollte sie nicht ansehen müssen.
»Was hat er gesagt, John?«
»Dennis? Er hat gesagt, dass wir da runtergehen sollen, du und ich. Dass ich zusammen mit einem Partner arbeiten sollte, als Einübung in den Job.« Ich schüttelte den Kopf. »Wie kann er über so etwas nur so reden?«
»Wie?«
»Einübung in den Job, um Himmels willen …. Immerhin redet er über etwas, das gleichbedeutend mit Mord und Totschlag ist, gleichbedeutend mit Morden.«
Ich nahm Catherines Lächeln wahr, ohne es wirklich zu sehen. »Nicht gleichbedeutend mit Mord und Totschlag. Es ist Mord und Totschlag.«
»Und du hältst das für gerechtfertigt?«
»Zweifellos.« Ihr Ton strotzte vor Gewissheit. Etwas hatte sich über Catherine immer sagen lassen - selbst in den schlimmsten Zeiten und auch noch, als es dem Ende zuging: Catherine Sheridan war die personifizierte Überzeugung.
»Zweifellos?«
»Sieh mich mal an.«
Ich nahm den Blick von der Decke und sah sie an.
»Hat er dir die Filme gezeigt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er zeigt sie mir heute Abend.«
»Schau sie dir an. Schau dir an, was diese Leute tun. Diese Leute sind …« Sie schüttelte den Kopf, und für einen Augenblick loderte Zorn in ihr auf. »Himmel, mir fehlen die Worte. Schau dir die Filme an, und dann entscheide selber,
ob da nicht aktive Intervention in irgendeiner Form nötig ist.«
»Aktive Intervention. So heißt das heutzutage?«
»Ich vermute, das hieß schon immer so.«
Ich schwieg eine Weile. Da draußen vor den Mauern lebten Menschen, die keine Ahnung hatten, was passierte. Vielleicht wollte die große Mehrheit der Bevölkerung glauben, dass solche Gespräche nie stattfanden. Die Menschen redeten nicht über das Töten und Morden. Sie trafen keine Entscheidungen über das Leben anderer Menschen - Menschen, die man nicht kennt, nie kennenlernt, die man nur ein einziges Mal im Leben sieht, und auch dann nur im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs, bevor man den Finger krumm macht.
»Was ist?«, fragte Catherine.
»Ich denke nach.«
»Du wägst ethische und moralische Positionen gegeneinander ab, richtig?«
»Richtig.«
»Und den Unterschied zwischen Ethik und Moral hast du verstanden?«
Ich zuckte die Achseln.
»Moral ist die Gesamtheit der Gesetze und Regeln, die einem die Gesellschaft auferlegt. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht stehlen. Solche Dinge, okay?«
»Ja, sicher. Das verstehe ich.«
»Mit der Ethik ist das anders. Die Ethik kommt ins Spiel, wenn das Leben einen vor echte Gewissensentscheidungen stellt. Es bricht jemand in dein Haus ein. Der Kerl hat ein Messer. Er packt sich dein Kind. Du hast eine Pistole und eine Sekunde lang freie Schussbahn, und du weißt, wenn du dem Kerl eine Kugel in den Kopf verpasst, hat die Sache ein Ende. Was tust du?«
»Ich schieße.«
»Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher … Notwehr, oder?«
Catherine lächelte, schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Notwehr - Ethik. Die Moral verbietet dir, ihn zu töten. Die Ethik erlaubt es dir. Du musst einen Kompromiss schließen, um die gesellschaftliche Moral ignorieren zu können, weil die Gesellschaft es dir verbietet, einen Menschen zu töten. Tja, dumm gelaufen, Mister, genau das hast du eben getan.«
»Das ist was anderes …«
»Wieso?«
»Der Kerl hätte mein Kind getötet. Ich musste ihn töten, ich muss das Leben der Menschen schützen, die ich liebe.«
»Und das Leben Fremder?«
Ich lachte. »Du bist gut, weißt du?«, sagte ich. »Du klingst genau wie Matthews und Carvalho oder Dennis Powers. Die haben …«
»Die haben mir die Augen geöffnet, John. Das haben sie getan. Mir die Augen geöffnet und mir die Chance gegeben, ein paar Dinge zu begreifen. Sie haben mir Dinge gezeigt, da habe ich mich
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