Vergib uns unsere Sünden - Thriller
geschämt, ein Mensch zu sein. Ich sehe mir das an, und auf einmal fühle ich mich elend und abgrundtief nutzlos. Unbrauchbar, absolut unbrauchbar. Ich will etwas tun.«
»Und jetzt hast du das Licht gesehen. Dennis Powers hat dir gezeigt, wie du dein Gleichgewicht zurückgewinnst …«
»Himmel, spar dir deinen Sarkasmus. Du müsstest mal hören, wie naiv du dich anhörst, John. Ich hab keine Lust mehr, mit dir darüber zu reden. Mach doch, was du willst. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Mag sein, dass sie nicht der Weisheit letzter Schluss ist, aber immerhin bin ich zu einem Standpunkt gekommen und konnte eine Entscheidung treffen.«
Einen Moment lang war ich der kleine Junge, der bei den Erwachsenen herumsitzt, um sie zu ärgern.
»Ja, ich habe mit Carvalho und Dennis Powers geredet«,
fuhr Catherine fort. »Ja, ich habe die Filme gesehen, und vielleicht ist das alles nur Propaganda und von vorn bis hinten gefälscht, aber das war nicht mein Eindruck, als ich sie gesehen habe.« Sie machte eine abfällige Handbewegung. »Geh«, sagte sie. »Geh und überleg dir, was immer du willst, und wenn du dich entschieden hast, sagst du mir Bescheid, okay?«
Ich rührte mich nicht von der Stelle.
Catherine stellte die Füße auf den Boden und beugte sich vor. »Das ist meine Wohnung, John. Und ich möchte, dass du jetzt gehst. Hast du das verstanden, oder muss ich mich deutlicher ausdrücken?«
Ich war einigermaßen perplex, und das sah man mir wohl auch an, jedenfalls lachte sie.
»Jetzt siehst du aus wie zwölf«, sagte sie. »Ich bitte dich, zu gehen. Ist das so schwer zu verstehen?«
Ich schüttelte traurig den Kopf. »Tut mir leid, wenn ich …«
Catherine zeigte mir die erhobenen Handflächen, ein Stoppschild. »Schluss jetzt«, sagte sie bestimmt. »Sieh dir die Filme an. Danach redest du anders, und dann darfst du wiederkommen.« Ihr Blick war fest und ihr Ausdruck resolut. »Die Wahrheit? Du willst die Wahrheit wissen?«
»Natürlich will ich die Wahrheit wissen. Was meinst du, weshalb ich hier bin? Meinst du, ich hab wegen meinem verdammten Seelenfrieden die Schule geschmissen und bin den langen Weg hier runtergekommen?«
»Die Wahrheit ist - diese Sache ist größer als wir beide, größer als alle, die hier sind. Die alte Leier, ich weiß schon. Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile. Hast du mal Truman Capote gelesen? Er hat ein Buch geschrieben, das heißt Erhörte Gebete . Den Titel hat er aus einer alten Redensart, die besagt, dass über erhörte Gebete mehr Tränen vergossen werden als über nicht erhörte. Verstehst du?«
Ich lächelte. »Sicher verstehe ich das.«
»Willst du noch’n Spruch hören? Wen Gott nicht mag, dem erfüllt er seinen größten Wunsch.«
»Das ist zynisch.«
»Zynisch vielleicht, aber auch sehr wahr. Weißt du was, John? Ich bin hier. Mein größter Wunsch wurde mir erfüllt. Ich habe mich umgesehen, ein bisschen über das erfahren, was in der Welt passiert, aber ich dachte, ich bin allein, ein einzelner Mensch. Ich wollte etwas dagegen tun. Das wollte ich wirklich, aber ich bin eine einzelne Frau, dreiundzwanzig Jahre alt und nur einen Schritt, einen Katzensprung, entfernt vom amerikanischen Kleinstadtleben, und auf einmal kommt jemand und erzählt mir, dass ich vielleicht kein einzelner Mensch bin. Sie haben mir klargemacht, dass ich etwas dagegen tun kann, und was spielen moralische Zweifel noch für eine Rolle, wenn wir den ethischen Urknall auf dem Programm haben? Da unten geht es nicht um ein Menschenleben, einen Einzelnen …« Sie schwieg einen Moment. Ihre Wangen waren gerötet, die Augen strahlten, als wären sie von hinten beleuchtet. »Es geht um ein ganzes Land, eine Nation …. Mein Gott, begreifst du denn nicht, was das heißt? Es geht um die Möglichkeit, etwas gegen die Ungerechtigkeiten zu tun, die da unten passieren …«
»Und was ist mit den Ungerechtigkeiten hier bei uns, verdammt?«, fragte ich. »Hier in den Staaten gibt es doch genauso viele Ungerechtigkeiten wie in irgendeinem der Scheißländer da unten.«
»Zum Teufel, ja, Amerika hat seine Probleme. Das wissen wir. Aber Amerikas Probleme sind viel differenzierter, viel komplexer. Du meinst illegale Einwanderer, Korruption bei der Polizei, in der Stadtverwaltung, in der Regierung? Missbrauch der Justiz, solche Dinge?«
»Ja, solche Dinge meine ich, und sie wiegen nicht weniger schwer als alles, was da unten passiert.«
Catherine lächelte. »Du redest am Thema vorbei,
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