Vergiftet
zu Fall bringen konnte, nämlich die Tatwaffe, versteckt, bevor er sich seine Konspirationstheorie ausgedacht hat, dass jemand seinen Schlagring gestohlen und Jocke einen Pulli-Bruch verpasst hat, damit alles auf ihn hindeutet.«
»Sie vergessen dabei, dass er zuvor alles darangesetzt hat, dass Jocke nicht ermordet wird.«
»Ja, diese Geschichte habe ich auch gehört. Aber vielleicht war es von Anfang an sein Plan, Zeugen dafür zu haben, dass er ein Blutbad verhindern wollte, damit wir seiner Konspirationstheorie auch wirklich Glauben schenken.«
»Aber das habt ihr nicht.«
»Nein.«
»Ein kühner Plan, ich muss schon sagen.«
»Ja, vielleicht. Sie vergessen aber, dass Brolenius mit höchster Wahrscheinlichkeit Pullis Kumpel getötet hat. Es kann mir niemand einreden, dass Pulli keine Rachegelüste hatte.«
Henning nickt still.
»Und dann ist da noch eine entscheidende Sache: Tore Pulli hat in den ersten Verhören behauptet, dass er exakt zur vereinbarten Zeit da war, also um 23.00 Uhr, und dass Jocke da bereits tot gewesen sei. Pulli hat aber erst um 23.19 Uhr bei der Polizei angerufen. Sagen Sie mir, braucht man neunzehn Minuten, um eine Leiche zu finden und die Polizei zu rufen, oder dauert es nicht eher neunzehn Minuten, jemanden umzubringen, die Tatwaffe zu verstecken und dann wieder an den Tatort zurückzukehren, um sich noch etwas zu holen, das man vergessen hat?«
Henning überlegt kurz. »Und warum sollte er dann die Polizei rufen?«
»Weil er zu der Erkenntnis gelangt ist, dass das seine beste Chance ist, nicht verhaftet zu werden. Ein Spiel mit offenen Karten. Er wusste, dass er der Verdächtige Nummer eins sein würde. Nur dass ihm niemand seine Geschichte abgekauft hat.« Nøkleby steht auf. »Es war Tore Pulli, Henning.«
Henning antwortet nicht.
»Ich muss jetzt wieder rein«, fährt sie fort. »Wenn Sie etwas darüber schreiben wollen, möchte ich vorher meine Zitate lesen. Sie haben sich ja nicht eine Notiz gemacht.«
Er nickt.
»Danke für das Eis«, sagt sie. »Das war wirklich gut.«
»Und ziemlich viel.«
Sie hebt lächelnd die Hand und geht. Henning steht auf, schüttelt einen Fuß etwas aus, der eingeschlafen ist, und sieht sie in schnellem Tempo auf den Eingang zusteuern. Mit einer gewissen Faszination stellt er fest, dass ihm gefällt, was er da sieht.
23
Auf dem Weg zurück in die Redaktion denkt Henning noch einmal über sein Gespräch mit Pia Nøkleby nach. Der Staatsanwalt hat recht. Wenn Pulli behauptet, zur vereinbarten Zeit in der Fabrik gewesen zu sein, hat er ein Problem, die neunzehn Minuten zu erklären. Konnte man ihm überhaupt trauen?, fragt Henning sich.
Nachdem er sich eine Tasse Kaffee geholt und sich wieder an seinen Schreibtisch gesetzt hat, denkt er eine Weile über Vidar Fjell nach. Wer war dieser Mann eigentlich?
Henning findet heraus, dass Vidar Fjells Eltern, Linda und Erik, in Lillestrøm wohnen. Erik ist Professor für Nordistik und arbeitet an der Universität Oslo, aber über Linda findet er nichts, nur die gemeinsame Telefonnummer.
Nach kurzem Klingeln meldet sich eine rauchige Frauenstimme.
»Hallo, hier ist Henning Juul von der Internetzeitung 123nyheter . Dürfte ich Sie ein paar Minuten stören?«
»Das kommt darauf an, worum es geht«, antwortet sie kurz angebunden, wie so viele, wenn sie einen Journalisten an der Strippe haben.
»Es geht um Ihren Sohn.«
Es wird still.
»Sie wollen etwas über Vidar schreiben? Jetzt?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich arbeite an einer Sache, bei der Vidars Name immer wieder auftaucht. Ich …«
»Was für eine Sache?«
»Das Revisionsverfahren von Tore Pulli.«
Linda Fjell schnaubt.
»Vidar ist tot. Das ist schon schlimm genug, bitte reißen Sie keine alten Wunden auf!«
»Ich …«
»Ich habe keine Lust, über Vidar zu reden«, unterbricht sie ihn scharf.
»Und was ist mit Ihrem Mann? Ist er vielleicht zu Hause?«
»Nein«, antwortet sie rasch.
Henning hört, dass sie im Begriff ist aufzulegen.
»Es tut mir leid, Sie mit dieser Sache zu belästigen«, sagt er schnell. »Ich kenne weder Sie noch Ihren Mann. Aber ich weiß, wie es Ihnen geht. Ich habe selbst auch ein Kind verloren.«
Es wird still. Henning schließt die Augen und versucht, die Bilder zu verdrängen, die immer auftauchen, wenn er über Jonas redet. Bilder, die er nie gesehen hat, die er aber niemals loswerden wird.
»Ich weiß, wie das ist«, sagt er leise. »Und dass da nichts hilft.«
Er hört ihren Atem. Schwer und
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