Vergiftet
schmilzt.«
»Gutes Argument.«
Nøkleby läuft schnell an der Gruppe vorbei, die ein paar Meter vom Eingang entfernt ihre Stammplätze eingenommen hat. Eine Wolke aus blauem Zigarettenqualm steigt der Sonne entgegen. Hennig hebt einen Arm, als er sie sieht.
Die Polizistin trägt wie immer Uniform, und die Sonnenbrille betont ihre Gesichtszüge. Henning hat bislang keinen Gedanken daran verschwendet, aber er findet sie richtig hübsch. Ausgeprägte Wangenknochen, nicht zu markant, aber doch so, dass sie ihr Gesicht strukturieren und ihm Charakter geben. Als sie näher kommt, bemerkt er ihre makellose sommerbraune Haut. Trotz der langen Arbeitstage sind ihre Augen frisch und ohne jeden Ansatz von Tränensäcken. Sie hat ihre kurzen, schwarzbraun glänzenden Haare glatt nach links gekämmt. Die Uniform ist ihr auf den Leib geschneidert und betont ihre Körperkontur.
Nøkleby setzt sich neben ihn.
»Hallo, Henning.«
»Hallo.«
Er reicht ihr das Eis, eine Art Erdbeershake, den er auf der anderen Straßenseite an einem Kiosk gekauft hat.
»Ich hoffe, Sie mögen Erdbeere?«
»Mädchen lieben Erdbeere«, antwortet sie und lächelt.
Henning sieht ihr dabei zu, wie sie das Plastik vom Löffel reißt, der an der Packung klebt. Sie hebt den Becher an.
»Danke.«
»Gern geschehen.«
»Ist das ein Bestechungsversuch?«
»Natürlich. Und, klappt es?«
»Erst einmal muss ich probieren, danach sage ich es Ihnen.«
Henning muss wieder lächeln, als er sieht, wie sie den Löffel in das weiche Eis schiebt. Sie probiert und schließt die Augen.
»Ihre Chancen stehen nicht schlecht.«
Henning lacht. Nøkleby hebt den Blick und sieht zu der Allee hinüber, die zum Gefängnis führt.
»Ich gehe davon aus, dass Sie nicht zum Eisessen hierhergekommen sind?«
Henning nimmt einen Löffel von seinem Eis.
»Ich habe mir in der letzten Zeit den Fall Tore Pulli näher angeschaut«, beginnt er. Nøkleby isst noch einen Löffel, dann wendet sie sich ihm zu. »Es gab Spuren am Tatort, die darauf hindeuteten, dass Tore Pulli der Täter war, andere Indizien ließen aber auch wieder das Gegenteil vermuten. Ich bin bloß neugierig, aber haben Sie damals auch die anderen Spuren verfolgt?«
Nøkleby lächelt nachsichtig. »Wir haben uns nicht mit der erstbesten Lösung zufriedengegeben, wenn Sie das meinen.«
»So was soll ja schon mal vorgekommen sein.«
»Nicht seit ich hier bin.«
Nøkleby leckt sich über die Lippen und stellt das Eis weg.
»Einige von Tores Freunden sind da nicht ganz Ihrer Meinung. Sie behaupten, die Polizei habe richtiggehend Jagd auf ihn gemacht.«
»Jagd?«
»Ja, dass sie es darauf abgesehen hatten, ihn wegen irgendetwas hinter Gitter zu bringen.«
»Mein Gott …« Sie schnaubt. »Wer das behauptet, hat zu viele amerikanische Filme gesehen. Henning, bei der norwegischen Polizei will niemand jemanden hinter Gitter bringen, wenn derjenige nichts ausgefressen hat.«
»Es gibt immer wieder Berichte über schlechte Polizeiarbeit, unvorbereitete Richter, schlampige Beweissicherung, manchmal ist sogar von getürkten Beweisen die Rede. Finden Sie es merkwürdig, wenn die Leute auf der Straße kein Vertrauen in die ethischen und moralischen Arbeitsstandards ihrer Gesetzeshüter haben? Dass manch einer möglicherweise glaubt, bei einem Fall wie Pulli gehe es mindestens ebenso sehr um das Prestige wie um die Wahrheit?«
Nøkleby antwortet nicht. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt. Die Farbe ihrer Wangen ist dunkler geworden. Sie sitzen eine Weile da und blicken über die Grünanlage vor dem Präsidium. Unten am Bürgersteig geht ein Mann auf und ab und mäht den Rasen.
»Ich habe nicht vor, Sie zu kritisieren, Pia«, sagt Henning nach einer langen Pause.
»Nein, das weiß ich.«
»Pulli hat selbst die Polizei gerufen, das stimmt doch, oder?«
»Ja.«
»Und Sie haben die Gegend nach der Tatwaffe abgesucht?«
»Ja, natürlich haben wir das.«
»Warum ist Pulli zurück an den Tatort gegangen, um die Polizei zu rufen?«
»Vermutlich weil er seinen Schlagring gesucht hat.«
Henning sieht sie eine ganze Weile an. »Finden Sie, dass das schlüssig klingt, wasserdicht?«
»Nicht unbedingt wasserdicht, nein, aber plausibel. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Mann wie Tore Pulli verstanden hat, wie tief er in Schwierigkeiten steckt, nachdem er Jocke Brolenius umgebracht hat. Eine Menge Leute im Milieu wussten, dass er sich mit Jocke treffen wollte. Deshalb hat er das wichtigste Indiz, das ihn
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