Vergiftet
2006 brachte die Zeitung Dagens Næringsliv einen Artikel darüber, dass sich diese Stadt zu einem Paradies für norwegische Kriminelle entwickelt habe. Über Jahre hinweg sei Schwarzgeld in diverse Immobilien investiert worden, die später an sonnenhungrige Norweger verkauft wurden. Die Käufer seien von den günstigen Preisen angelockt worden. Sie ahnten nicht, dass es ein paar einkommensschwache Norweger waren, die die Immobilienprojekte in der Hundert-Millionen-Klasse verwalteten, und dass unter anderem die B-Gang und die Schwedenliga ihr Drogengeld in den natalischen Immobilienmarkt pumpten.
2004 heiratete Rasmus Bjelland eine Brasilianerin. Während sie sich um die Kontakte zu den Investoren kümmerte, war Bjelland der Handwerker. Gemeinsam realisierten sie ein paar kleinere Wohnprojekte, was ihnen genügend Kapital verschaffte, um einen Schritt weiterzugehen. Doch damit machte er sich Feinde, denn diejenigen, die in Natal bereits das große Geld machten, hatten kein Interesse an weiterer Konkurrenz.
Eines Tages wurde Bjellands Partner erschossen am Rand des Fischerdorfs Ponte Negra gefunden. In dieser verlassenen Gegend wollten Bjelland und seine Frau ihr bisher größtes Immobilienprojekt aufziehen. Die Polizei kam zu dem Ergebnis, dass der Mann, dessen Stirn drei Einschusslöcher schmückten, vermutlich Opfer eines Raubmords geworden war. Bjelland fürchtete um sein Leben.
Der Artikel in Dagens Næringsliv bildete die Grundlage für eine massive norwegisch-brasilianische Polizeioperation am 9. Mai 2007. Die Aktion Nemesis war mit gut zweihundertdreißig Polizisten in Natal die größte Aktion, die die Behörden im Teilstaat Rio Grande do Norte jemals durchgeführt hatten. Sie nahmen Razzien in dreiunddreißig Wohnungen und Büros vor, wo sie nach Dokumenten und Beweisen für den Betrug und die Geldwäsche suchten. Immobilien und Sachwerte im Gegenwert von dreihundert Millionen Kronen wurden beschlagnahmt. Zur gleichen Zeit traten auch in Oslo achtzig Polizisten in unterschiedlichen Milieus in Aktion, die eine mutmaßliche Verbindung zu der Geldwäsche in Natal hatten – die Aktion trug den Namen Aktion Paradies . Während in Natal vierzehn Personen verhaftet wurden, kamen in Oslo elf in Untersuchungshaft. Sieben wurden später unter dem Tatverdacht der Wirtschaftskriminalität angeklagt.
Rasmus Bjelland und seine brasilianische Frau wurden nicht verhaftet, obwohl auch ihre Büros durchsucht worden waren. Daraus entstand der Verdacht, dass Bjelland im Vorfeld der Aktion mit der Polizei zusammengearbeitet hatte und die Razzia bei ihm nur zum Schein durchgeführt worden war. Es dauerte nicht lange, bis ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde. Bjelland ging in den Untergrund.
Natürlich drang das Gerücht, dass ein kleiner Immobilienmakler in Brasilien die Todesliste gleich mehrerer organisierter Gruppen anführte, bis zu den meisten Nachrichtenredaktionen vor. Henning rechnete damals nicht damit, dass es leicht werden würde, ihn zu finden. Doch irgendwann erhielt er den Tipp, Bjelland habe mit seinen Schuldnern in Norwegen reinen Tisch gemacht und eine neue Identität beantragt – ein Anliegen, das nur wenigen Menschen bewilligt wurde, seit das Kriminalamt 2004 mit seinem Programm begonnen hatte.
Nach vielen Telefonaten bekam Henning schließlich einen Mittelsmann zu fassen, der seinen Wunsch nach einem Interview weiterleitete – ohne Erfolg. Es nützte nichts, dass Henning damit warb, der Artikel könnte eine Art Verteidigungsschrift werden. Er hatte die Story fast schon wieder vergessen, als ihn der Mittelsmann dann doch irgendwann kontaktierte und ihm mitteilte, Bjelland habe seine Meinung geändert.
An einem grauen Sommertag 2007 trafen sie sich im Badeparadies Huk. Henning erinnert sich an einen verängstigten Mann, der alles daransetzte, sich als unschuldig und zu Unrecht verdächtigt darzustellen. Es war natürlich ein Scoop, den in kriminellen Kreisen meistgesuchten Mann des Landes zu interviewen, doch Henning hatte kein gutes Gefühl dabei. Nicht weil er glaubte, dass Bjelland log, sondern weil er sich wissend für dessen Zwecke missbrauchen ließ. Außerdem verlangte Bjelland, dass Henning nichts von dem Antrag erwähnte, der noch in Bearbeitung war. Er fürchtete, das könne ihn noch verdächtiger machen und den Lesern verraten, dass er im Land zu bleiben beabsichtigte. Henning hatte auch diese Kröte geschluckt. Er erinnerte sich sogar noch an den Titel des Interviews. Ich bin kein
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