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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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fürchten gelernt hat.
    Sie bleiben dicht voreinander stehen. Der Mann sieht Thorleif lange an, ehe er nickt und weiter ins Innere der Kirche geht. Thorleif folgt ihm. Sie setzen sich in eine der hinteren Bankreihen. Der Mann wartet, bis eine Gruppe japanischer Touristen vorbeigegangen ist. Dann steckt er eine Hand in die Tasche seiner Lederjacke und zieht ein Schächtelchen heraus. Er öffnet es vorsichtig und zeigt ihm den Inhalt.
    »W-was ist das?«, flüstert Thorleif und blickt nach unten. Er ärgert sich über seine Neugier.
    »Das«, sagt der Mann andächtig, »ist eine Piercingnadel.«
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    »Ist alles in Ordnung mit dir«?
    Thorleif blickt auf und sieht in ein besorgtes Gesicht.
    »Du bist kreidebleich. Bist du sicher, dass du heute arbeiten kannst?
    »Ja, doch …« Thorleif stöhnt und ringt sich ein Lächeln ab. »Es geht schon. Aber ich denke, die Redaktion am Nachmittag spare ich mir.«
    »Die brauchen wir ja ohnehin erst am nächsten Samstag«, sagt Guri Palme verständnisvoll. »Bist du wirklich sicher, dass du in Ordnung bist? Den frischesten Eindruck machst du nicht gerade.«
    »Es wird schon gehen«, bekräftigt er mit einem Nicken.
    Guri Palme mustert ihn noch ein paar Sekunden, ehe sie ihm die Hand auf die Schulter legt. »Gut. Das ist ein wichtiger Termin heute.«
    Sie setzen sich in einen weißen Peugeot 207 mit der für den Sender TV 2 charakteristischen 2 und den Buchstaben ENG 12 auf der rechten Seite und fahren los. Er hat ein merkwürdiges Gefühl, so als würde er ferngesteuert. Ja, er spürt nicht einmal den Sitz unter ihm.
    Er sieht aus dem Fenster und sucht nach etwas, woran sein Blick sich festhalten kann. Aber er findet nichts. Nur die Kinder im Park und die Menschen in den Cafés. Das Leben streicht an ihm vorbei, und mit einem Mal hat er wieder das gleiche Gefühl unkontrollierbarer Übelkeit wie am Morgen. Auch der Schwindel meldet sich wieder. Und in seiner Innentasche brennt die kleine Schachtel, die er bekommen hat.
    Thorleif hört die Stimme des Mannes in seinem Kopf: »Es hindert Sie nichts daran, heute nach der Arbeit wie immer nach Hause zu gehen. Sie müssen nur diese eine kleine Sache für uns erledigen. Sind Sie erfolgreich, können Sie Ihr gewohntes Leben weiterleben. Wenn nicht, nehmen wir uns nicht nur Sie vor, sondern auch Ihre Kinder.«
    Thorleif schließt die Augen.
    Kurz darauf hält der Wagen, und sie steigen aus. Der Boden unter ihm schwankt. Ole Reinertsen, der zweite Kameramann, öffnet den Kofferraum. Sie laden das Material aus. Jeder trägt seine Kamera inklusive Zubehör . Thorleif hängt sich den Sack mit dem Beleuchtungsequipment über die Schulter. Auf seiner Stirn bilden sich sogleich Schweißtropfen. Auch die Kamera ist schwerer als sonst. Die Details um ihn herum verlieren an Kontur und schwimmen an ihm vorbei, während er durch eine Tür geführt wird und schließlich in einem Raum landet. Er starrt auf den grauen Linoleumboden und spürt, wie ihn die weißen Betonwände einkapseln.
    »Okay«, sagt Guri. »Wir brauchen etwa eine Viertelstunde, bis wir bereit sind, oder, Toffe?«
    Er nickt, hört eine freundliche Männerstimme und die Antwort, dass das in Ordnung sei und er dann für eine Weile verschwinden werde. Thorleif betritt als Letzter den Raum, stellt den Sack auf den Boden und setzt das Stativ und die Kamera ab. Der Raum ist klein und eng. In der Mitte steht ein Tisch aus Buche und Glas. Das Muster der Gardinen erinnert an Schmetterlinge.
    »Was meinst du?«, fragt Reinertsen. »Zwei kurze Sequenzen von da und dann eine Kamera direkt hinter Guri, also etwa hier?«
    Reinertsen bildet mit den Händen ein Viereck. Thorleif nickt.
    »Und ich filme, wenn er hereinkommt.«
    »Hm.«
    »Gibst du mir das Stativ?«
    Reinertsen deutet auf das Dreibein. Thorleif macht, um was er gebeten wird. Hinter ihm stakst Guri Palme auf und ab, in den Händen ein paar Papiere, auf die sie immer wieder einen Blick wirft.
    Thorleif vertieft sich in die Arbeit, richtet die Panasonic 905 ein und sucht den richtigen Anschluss und das XLR -Kabel heraus. Er versucht, sich auf die Beleuchtung zu konzentrieren. Drei Winkel, vielleicht ein Scheinwerfer schräg von hinten, um die Illusion von Tiefe zu geben und das Objekt hervorzuheben, aber das Licht von hinten ist noch zu hell. Ich muss die Gardinen zuziehen. Und dann vielleicht mit einem Dedolight von vorn und der Chimera-Laterne aufhellen. Das sollte klappen. Die Chimera verteilt das Licht und lässt es weicher wirken.

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