Vergiftet
Vielleicht müssen wir die Dedo dimmen, damit die Farben wärmer werden.
Es tut Thorleif gut, sich um die Beleuchtung zu kümmern und an etwas anderes zu denken. Aber es vergehen keine zehn Sekunden, ohne dass er nicht wenigstens ein Mal an die Aufgabe denkt, die ihm bevorsteht.
Eine Viertelstunde später ist er bereit. Er holt tief Luft, steckt die Hand in die Innentasche, spürt das Schächtelchen, öffnet es, dreht sich um, legt die Nadel mit größter Vorsicht in die linke Hand, schließt die Schachtel und steckt sie zurück. Du musst es schaffen, denkt er.
Ganz in der Nähe geht eine Tür. Er sieht Palmes Gesicht aufleuchten. Ihr Lächeln sitzt. Sie streckt die Hand aus. Thorleif muss sich anstrengen, damit seine Knie nicht einknicken. Ich schaffe das nicht. Ich kann das nicht, ich werde es niemals schaffen.
Die Wände rücken zusammen. Thorleif drückt die Finger aufeinander. Seine Füße finden keine Ruhe. Die Luft ist klamm, und er kann kaum noch atmen. Palme nickt und lächelt, deutet eine Verbeugung an. Bedankt sich dafür, dass sie kommen durften, und betont, wie wunderbar es sei, die Intensiv -Serie mit diesem Interview beginnen zu können.
Ein Schatten bleibt in der Türöffnung stehen. Thorleif hebt den Blick. Dunkle, krasse Tätowierungen. Ein Frauengesicht auf einem Arm.
Er begegnet den Augen des großen Schattens. Der Mann streckt ihm die Hand hin. Thorleif ergreift sie und hört die Stimme, tief und dröhnend.
»Tore Pulli.«
Thorleifs Hand verschwindet in der Pranke des anderen. Seine Kraft reicht kaum, den Händedruck zu erwidern. Dann blickt er auf und sagt leise: »Thorleif Brenden, angenehm.«
TEIL II
46
Der Ventilator auf dem Fensterbrett brummt, kommt gegen die flirrende Hitze aber trotzdem nicht an. Hennings Gesicht ist feucht, als er sich über den Küchentisch beugt und durch Hunderte von Google-Treffern zu Rasmus Bjelland scrollt, die mehr belanglose als klärende Antworten geben.
Als das Handy auf der Tischplatte vibriert, dreht Henning den Kopf. Es ist Iver. Henning beschließt, den Anruf nicht anzunehmen, aber das Handy klingelt weiter und weiter und hüpft dabei über den Tisch. Am Ende drückt er gereizt auf die Antworttaste. Einige Sekunden vergehen.
»Hallo?«
»Hm.«
»Bist du das, Henning?«
»Ja.«
»Scheiße, ich … ich hab deine Stimme überhaupt nicht erkannt … Egal. Hast du mitbekommen, was passiert ist?«
»Nein.«
»Verdammt, das ist echt krank! Tore Pulli, du weißt schon? Der ehemalige Geldeintreiber?«
Henning richtet sich auf. »Ja, was ist mit ihm?«
»Er ist tot.«
Der Lärm von der Straße verebbt. Die Hitze weicht einem frostigen Windstoß, und der Fleck, auf den Henning starrt, schrumpft in sich zusammen. Er hört seinen eigenen Herzschlag, schneller und schneller, dann schluckt er und schnappt nach Luft.
»Was sagst du da?«
»Tore Pulli ist tot.«
Henning stützt einen Ellbogen auf die Tischplatte, fährt sich mit der Hand über den Kopf, legt die Stirn in die Hand. Seine Augenlider schließen sich. Er hört Iver etwas sagen, aber die Worte erreichen ihn nicht. Henning denkt an Jonas. An den kleinen Funken Hoffnung. Verloschen.
»Wie, tot?«
»Was ist denn das für eine dämliche Frage?«
»Ich meine, wie ist er gestorben?«
»Details habe ich noch nicht. Er soll einfach umgekippt sein, völlig überraschend. Aber das Schlimmste weißt du noch gar nicht. Oder das Beste, je nachdem, wie man es betrachtet. Er ist bei einem Interview von TV 2 abgenibbelt!«
Die Tischplatte kommt näher.
»Leider keine Livesendung …«
Henning starrt auf die Kerben und Kratzer im Tisch. Die Narben werden breiter, dunkler und tiefer.
Wer kann ihm jetzt noch helfen?
»Wann ist es passiert?«
»Vor etwa einer Stunde, das ist total …«
Henning stöpselt den Kopfhörer in sein Gerät und legt die Hände so vor Mund und Nase, dass sie ein geschlossenes Dreieck bilden.
»Bist du noch da?«, fragt Iver.
»Ich bin hier«, murmelt Henning in die gewölbten Hände.
»Kommst du in die Redaktion? Ich könnte Unterstützung gebrauchen.«
»Nein.«
»Aber … Du hast ihn doch vor ein paar Tagen getroffen …«
»Ich feier Überstunden ab.«
»Aber das …«
Henning drückt auf die rote Taste und begräbt das Gesicht in seinen Händen.
47
Thorleif Brenden wird hin und her geschleudert, als der TV 2-Wagen langsam über die Schlaglöcher der Allee fährt, die vom Osloer Gefängnis wegführt. Um ihn herum ist alles irgendwie irreal, als wäre die
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