Vergiftet
steht noch aus. Er muss noch Brenden loswerden und das Honorar kassieren. Danach wird er Oslo für immer verlassen. Nur kein Risiko eingehen, falls Brendens Minusexistenz zu Problemen führen sollte.
Mjønes lächelt im Stillen. Probleme?
Er hat sich noch nicht entschieden, wohin er sich absetzen will, nur dass es weit weg sein soll. Auf keinen Fall will er irgendwohin, wo billige Schirmchendrinks und luftig bekleidete Damen so leicht zu haben sind wie der Sand am Strand. Das Schlaraffenleben hat ihn noch nie angemacht. Eher würde er sich im Wald verstecken und ein paar Wochen unter Bäumen schlafen, aber sicher nicht in Norwegen.
Mit dem Honorar braucht er sich um weitere Arbeit keine Gedanken mehr zu machen. Die Frage ist nur, wie lange er es ohne Aufgaben aushalten wird. Ihm wird sicher die Decke auf den Kopf fallen, wenn er nichts zu tun hat. Sein Kopf muss etwas zu tun haben, er muss spüren, dass er lebt.
Er wird von Menschen umschwirrt, die mit Tüten in den Händen und Koffern im Schlepptau gehetzte, panische Blicke auf ihre Uhren oder Handys werfen. Mjønes fühlt nichts als Verachtung für Menschen, die sich tagtäglich diesem Stress aussetzen, ein ganzes Leben lang. Das ist so verdammt durchschnittlich.
Für ein solches Leben hat er sich nie geeignet. Als er allmählich erwachsen wurde, hat er fast jede Woche irgendein Schaufenster zertrümmert. Weil es so simpel war. Die Bullen waren komplett unfähig. Und weshalb sollte er seine Zeit für etwas vergeuden, für das er hundertachtzig Kronen in der Stunde verdiente, wenn er an einem Wochenende zweihundertfünfzigtausend verdienen konnte?
Er war einmal mit einer Frau zusammen, die einen anständigen Menschen aus ihm machen wollte, doch diese Beziehung war nach nur wenigen Monaten in die Brüche gegangen. Jeden Tag, an dem er seinen Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit zu verdienen versuchte, sehnte er sich mit jeder Faser seines Köpers an einen anderen Ort, irgendwohin, wo er etwas auskundschaften, ermitteln, planen konnte. Seine Mutter hat ihm immer wieder vorgeworfen, dass er sich nicht wie alle anderen ans Gesetz hält. Aber das wäre wider seine Natur. Es gefällt ihm ganz einfach zu zerstören und Feuer zu legen, er sucht Spannung und Kicks, damit der Alltag nicht so verdammt öde ist. Die Gesellschaft hat nichts damit zu tun, dass er die kriminelle Laufbahn eingeschlagen hat. Er hat dieses Leben selbst gewählt. Und könnte er noch einmal wählen, würde das Ergebnis genauso ausfallen.
Es vibriert in seiner Innentasche. Mjønes zieht das Handy heraus und antwortet.
»Wir haben ein Problem«, sagt Jeton Pocoli.
»Aha.«
»Nummer eins. Ich weiß nicht, wo er steckt.«
Mjønes Lächeln erstarrt. Er wechselt das Handy von einer Hand in die andere und schneidet eine Grimasse, bevor Daumen und Zeigefinger sich an der Nasenwurzel begegnen.
»Wo hast du ihn verloren?«
»Er ist in einen Burger King gegangen. Ich habe fünf, zehn Minuten gewartet, dann bin ich unruhig geworden, weil er nicht wieder rauskam. Also bin ich rein, um nach ihm zu schauen. Auf dem Klo habe ich dann seine Klamotten gefunden.«
»Welcher Burger King?«
»Unten auf der Karl Johan.«
»Also in der Nähe des Bahnhofs?«
»Ja. Da bin ich jetzt, aber ich kann ihn nirgendwo sehen.« Mjønes bleibt stehen und denkt nach, sieht sein Spiegelbild in einem Schaufenster. »Okay«, sagt er schließlich.
»Was machen wir jetzt?«, fragt Pocoli.
»Ich ruf dich gleich wieder an. So lange bleibst du dort.« Mjønes beendet das Gespräch, ehe Pocoli etwas sagen kann, und ruft Flurim Ahmetaj an.
»Schieß los«, sagt der Schwedisch-Albaner.
»Hat er Nummer zwei angerufen?«
»Nein.
»Hat er überhaupt jemanden angerufen?«
»Nein.«
»Kannst du sehen, wo sein Handy sich gerade befindet?«
»Nein, aber das kann ich rausfinden.«
»Mach das. Und überprüf seine Konten. Nummer eins versucht abzuhauen.«
»Ach was!«
Mjønes betrachtet in Gedanken versunken sein eigenes Spiegelbild. Nach und nach kehrt das Lächeln in sein Gesicht zurück.
»Aber das macht nichts.«
»Hm?«
»Das macht nichts. Nummer eins begeht gerade den größten Fehler seines Lebens.«
50
In seinem Kopf ist ein merkwürdiges Geräusch.
Sind das Wellen? Auf jeden Fall ist da ein Rauschen.
Henning schluckt, aber das Geräusch verschwindet nicht. Wie nach einem Konzert mit viel zu lauter Musik. Er blinzelt, aber irgendetwas stimmt nicht mit den Menschen um ihn herum. Sie zerfließen, lösen sich auf.
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