Vergiftet
vielleicht für ein paar Tage, aber es gibt nicht einmal Knäckebrot, nichts an Aufstrichen oder Getränken. Er muss einkaufen gehen.
Es ist Freitag, das Wochenende steht bevor. Bestimmt reisen dann auch die ersten Leute an, um ihre Hütten nach den Sommerferien winterfest zu machen. Nicht zu vergessen all jene, die wegen der herbstlich bunten Landschaft kommen. Am Wochenende ist hier bestimmt einiges los, denkt Thorleif. Er sollte so bald wie möglich so viel einkaufen, dass es übers Wochenende oder noch eine Weile länger reicht.
Er verlässt die Hütte auf dem gleichen Weg, wie er hereingekommen ist: durch die Speisekammer und den anschließenden Holzschuppen. Die frische Bergluft tut gut. Er spaziert gemächlich die Straße hinab und erreicht das, was man mit ein wenig gutem Willen als Zentrum von Ustaoset bezeichnen kann. Er betritt einen Laden, der etwas von einer Kombination aus Haushaltswaren- und Lebensmittelladen hat. Als Erstes kommt man durch eine Abteilung mit allen nur erdenklichen nützlichen Dingen: Spaten, Schrubber, Overalls, Stiefel, sogar Schneeschuhe gibt es zu kaufen, obwohl es noch eine Weile bis zum Wintereinbruch dauert.
Thorleif überfliegt zuerst die Zeitungen. Tore Pullis Tod belegt den gesamten Mittelteil von VG und Dagbladet . Aftenposten bringt Pullis Tod als einen von mehreren Aufmachern. Ebenso Bergens Tidende . Die Zeitung Hallindølen stellt fest, dass es in letzter Zeit ungewöhnlich viele Einbrüche in Ustaoset gibt und dass die Gegend um Ustaoset-Haugastøl besonders stark davon betroffen ist. Den Anflug von schlechtem Gewissen versucht Thorleif zu verdrängen, indem er sich einen Einkaufskorb schnappt und weiter in den Laden hineingeht. Er nimmt ein Paket aufgeschnittenes Brot, ein Päckchen Schmierkäse, zwei Tetrapaks Saft und eine große Tafel Milchschokolade. Auf dem Weg zur Kasse legt er noch die beiden kleinformatigen Zeitungen in den Korb, zahlt und verabschiedet sich mit einem knappen »Danke« von dem Mann an der Kasse.
Bevor er den Laden verlässt, dreht Thorleif sich noch einmal um.
»Entschuldigen Sie, gibt es hier in der Nähe eine Telefonzelle?«
Der Mann lacht.
»Nein, so etwas haben wir nicht in Ustaoset.«
»Ich dachte, die gibt es überall.«
»Nicht mehr.«
»So ein Mist. Ich hab mein Handy zu Hause vergessen. Gibt es vielleicht irgendeinen Laden oder ein Lokal, von dem aus man telefonieren kann?«
»Fragen Sie doch mal im Hotel, ob die Ihnen weiterhelfen können«, sagt der Mann, immer noch ein Grinsen auf den Lippen.
»Danke.«
Thorleif dreht sich um und tritt ins Freie.
Der Haupteingang des Hotels ist zu. Er legt sein Gesicht dicht an die Scheibe, kann drinnen aber keine Bewegung entdecken.
»Scheiße«, flucht er und sieht sich um, während er scharf nachdenkt. Wieso ist ein Hotel am helllichten Tag geschlossen? Schlecht gelaunt und mit einem noch schlechteren Gewissen Elisabeth gegenüber marschiert er zurück zur Hütte. Er schmiert sich ein paar Brote und liest die Zeitungen, findet aber keinen Hinweis darauf, dass Tore Pullis Tod in irgendeiner Weise als verdächtig eingestuft wird. Aber seit Redaktionsschluss kann viel passiert sein. Um auf dem Laufenden zu bleiben, bräuchte er ganz andere Hilfsmittel.
60
Heidi Kjus steht gerade auf, als Iver und Henning um die Ecke biegen und die Schlange der kaffeedurstigen Frühaufsteher erreichen. Henning sieht ihr schon von Weitem an, was sie sagen will, lässt sie aber gewähren.
»Wo wart ihr?«, schimpft sie.
»In der Raucherecke«, nuschelt Henning.
»Was hast du gesagt?«
»Sorry«, sagt Iver und streckt die Hände hoch. »Das ist meine Schuld. Henning und ich hatten eine kleine Privatsitzung, um uns auf die Besprechung mit dir vorzubereiten.«
»Das Meeting sollte vor zehn Minuten beginnen! Und das betrifft nicht nur mich, sondern auch alle anderen Mitarbeiter der Abteilung. Es ist respektlos von euch, so mit der Zeit anderer umzugehen!«
»Ja, wissen wir. Tut uns leid. Wird nicht wieder vorkommen.«
Heidis Blick wandert zu Henning. »Und was hast du heute hier verloren? Wolltest du nicht Überstunden abfeiern?«
»Ja, aber ich habe euch vermisst«, antwortet er ohne den geringsten Versuch, die Ironie zu verbergen. Im Augenwinkel sieht er Ivers Grinsen.
»Okay, gut. Seid ihr dann so weit? Habt ihr genug getratscht?«
»Ja.«
»Okay. Henning, bist du auch dabei?«
»Selbstverständlich. Ich will doch nicht den Höhepunkt des Tages verpassen. Kann ich vorher noch ein ganz kurzes
Weitere Kostenlose Bücher