Vergiftet
redigiert?«
»Nein, das ist das Roh-Tape. Oder – ich glaube zumindest, dass es das Roh-Tape ist. Und dies ist nur die Aufnahme der einen Kamera. Mit der anderen Aufnahme ist irgendwas passiert, glaube ich.«
Tore Pullis massige Gestalt tritt in den Fokus. Er trägt eine Jeans und ein enges T-Shirt. Pulli begrüßt Guri Palme, die noch knapp ins Bild passt, mit Handschlag. Sie trägt eine dunkelblaue Jeans, ein weißes Top und eine kurze gegerbte Lederjacke. Ihr Ausschnitt bietet in dem schrägen Kamerawinkel volle Einsicht. Pulli lächelt nicht, mustert sie aber und kann der Versuchung nicht widerstehen, den Blick ein wenig zu senken.
Palme gestikuliert in Richtung Raum, und Pulli folgt ihrem Wink. Er bleibt stehen und begrüßt einen Mann aus dem TV 2-Team. Thorleif Brenden, denkt Henning. Der Mann führt Pulli zu seinem Platz und befestigt in Brusthöhe ein Mikrofon am T-Shirt. Dann korrigiert er Pullis Sitzhaltung. Danach liegt der Fokus der Kamera ausschließlich auf Pulli.
»Wollen wir anfangen?«, fragt Guri Palme. »Möchten Sie ein Glas Wasser?«
Pulli antwortet nicht. Er sieht nervös aus, denkt Henning, als er Pullis flackernden Blick sieht.
»Tore Pulli, herzlichen Dank, dass Sie sich zu diesem Treffen mit uns bereit erklärt haben.«
Sein Kopf kippt nach vorn, er versucht, ihn wieder zu heben.
»Sie wurden wegen Mordes verurteilt, beteuern aber Ihre Unschuld und behaupten, jemand habe Sie gelinkt. Wer soll das gewesen sein?«
Pulli antwortet wieder nicht. Henning rückt auf die Stuhlkante vor, sieht, wie die Schwerkraft Pullis Kopf auf seinen Brustkorb zieht und wie er hin- und herschwankt. Henning glaubt, so etwas wie Angst in seinem Blick zu sehen, ehe der Lebensfunke aus seinen Augen verschwindet. Iver dreht die Lautstärke etwas höher.
»Pulli, fühlen Sie sich nicht wohl?«
Pulli schaukelt jetzt vor und zurück, zittert am ganzen Körper und verdreht die Augen. Das Weiße kehrt sich hervor, und sein Gesicht läuft blau an. Der Kameramann filmt, er zoomt Pullis Gesicht näher, geht dann aber wieder auf Distanz. Pulli zittert immer stärker, kippt zur Seite und bleibt in spasmischen Zuckungen auf dem Sofa liegen. Dann wird er plötzlich ruhig, und seine Augen starren glasig in die Luft.
»Toffe, verdammt, was machst du da? Film weiter!«
Iver lacht.
»Warum lachst du?«
»Das hatten sie rausgeschnitten.«
»Was?«
»Dass sie zu Toffe, oder wie er heißt, sagt, dass er weiterfilmen soll.«
Henning sieht sich das Chaos an, das ausbricht, er hört Guri Palme rufen: »Er ist umgekippt! Er ist einfach umgekippt!«, während sie mit bloßen Händen auf eine, wie Henning annimmt, Tür einhämmert. Gleich darauf betritt eine Frau den Raum und schickt alle Anwesenden nach draußen. Guri Palme streitet mit Knut Olav Nordbø.
»Wir müssen hier raus!«
»Ich muss einen Krankenwagen rufen … die Polizei … die … ich …«
»Ja, aber wir können hier nicht bleiben!«
Die Kamera ruckelt, dann ist der Bildschirm blau. Iver lässt den Film noch einige Sekunden weiterlaufen, ehe er die Aufnahme anhält.
»Das ging ganz schön zügig«, sagt Henning.
»Was denkst du?«, fragt Iver.
Henning sieht ihn an. Es ist merkwürdig, mit Iver in einem kleinen Raum zu sitzen, nur sie zwei, und gemeinsam über eine Story zu reden. Henning beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf dem Tisch ab. »Ich weiß nicht so recht«, sagt er und denkt an Thorleif Brenden. »In Bezug auf den Todesfall können wir nicht viel mehr tun, als auf den vorläufigen Obduktionsbericht zu warten. Und um den Rest hast du dich gestern gekümmert.«
»Das hast du also mitbekommen.« Iver lächelt zufrieden.
Henning antwortet nicht. »Aber sein Fall …«, sagt er dann und weiß im selben Augenblick, dass er damit bereits so weit vorgeprescht ist, dass er nicht mehr zurückkann. Die Erkenntnis der Konsequenzen beschleunigt seinen Herzschlag.
»Du meinst den Prozess?«
»Ja, oder vielmehr den Grund, weshalb es überhaupt zu dem Prozess gekommen ist. Ich würde mir das Ganze gern etwas genauer anschauen«, sagt Henning, erstaunt über die Entschiedenheit in seiner Stimme.
»Inwiefern?«
Seit Henning von Pullis Tod erfahren hat, muss er daran denken, was Pulli bei ihrem Treffen im Gefängnis gesagt hat. »Ich garantiere Ihnen, dass Sie an dem interessiert sein werden, was ich weiß.« Je länger er darüber nachdenkt, desto überzeugter ist er davon, dass Pulli nicht gelogen hat. Ihm ist klar, dass es leichter fällt,
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