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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sieveking
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übersehenden Tatsache, dass sich der Partner auch für jemand anderen interessieren könnte? Das muss doch eine Möglichkeit sein, die einem eingeräumt wird, und ich möchte auch, dass sie mir eingeräumt wird. Das habe ich auch selber ausgenutzt – jetzt schon lange nicht mehr, nun bin ich darüber hinaus.«
    Ich habe meine Mutter nie als Opfer gesehen, aber ihre Ehe konnte man seit längerem eigentlich nur noch ›halboffen‹ nennen. Doch auch wenn Gretels Bedürfnis nach Affären seit längerem erloschen war, wollte sie ihren Partner nicht in seinen Freiheiten einschränken.
    Meine Schwestern sahen die Beziehung meiner Eltern immer deutlich kritischer als ich. Im Interview mit meinem Vater versuchte ich damals diesem Groll nachzuspüren: »Glaubst du, dass eure Art der offenen Partnerschaft den Kindern gut bekommen ist?«
    »Man muss diese Sache mit der offenen Ehe klug behandeln«, vertraute er mir an, »indem man nicht immer alles in der Gegend herumposaunt. Aber ob das die Kinder geärgert oder irgendwie geschädigt hat, das weiß ich nicht. Ich glaube eher nicht. Natürlich ist es, wenn die Tochter den Vater mit einer anderen Frau im Bett erwischt, ein Schreck für das Kind, weil es denkt: ›Jetzt geht die elterliche Ehe kaputt‹. Dann hat das Kind Existenzangst, das ist klar. Aber wenn sichergestellt ist, dass diese Angst nicht begründet ist? Ich meine, natürlich muss man wissen, was das für ein Risiko ist. Aber Gretel undich haben ja unsere Ehe immer als ein Unternehmen aufgefasst, um Kinder zu haben und aufzuziehen. Und bei allen Eskapaden haben wir das nie in Frage gestellt.«
    Erst Mitte 20 fiel mir auf, dass Malte eigentlich nie eine Vaterrolle gespielt hatte. Während meiner Kindheit und Jugend hatte ich ihn nicht viel gesehen, er war für mich eher wie ein netter großer Bruder. Ab und zu stibitzte ich mir ein Kondom aus seinem Zimmer, ohne zu überlegen, was er eigentlich damit machte und warum ich manchmal auch eines in seiner Jackentasche fand. Eigentlich konnte ich ja froh sein, dass er mich in Ruhe ließ und mir nicht väterlich ins Gewissen redete.
    »Ich bin kein guter Lehrer«, klagte er einmal, als er über seine Lehrtätigkeit an der Uni sprach. »Wahrscheinlich habe ich in meinem ganzen Leben noch nie jemandem etwas beigebracht.« Den Unterricht, den er als Professor geben musste, fasste er als notwendiges Übel auf. Viel lieber hätte er sich ganz auf die Forschung konzentriert.
    Wenn mich Malte mit in die mathematische Fakultät nach Frankfurt nahm, geschah das nicht aus fachlichen Gründen, sondern weil dort im obersten Stockwerk eine Tischtennisplatte stand. Während langer, intensiver Ballwechsel konnte ich dann außer dem Topspin doch so einiges von ihm lernen. Zum Beispiel machte er mir deutlich, dass es immer wichtiger sei, gute Fragen zu stellen, als richtige Antworten zu finden. Ich war fasziniert von seinem breit gefächerten Wissen und seiner unbändigen Neugier auf praktisch alles.
    Ursprünglich wollte er Maler werden, begann dann aber Philosophie zu studieren, wobei ihn aber bald störte, dass jeder Denker zu versuchen schien, die vorangegangene Weltanschauung umzustoßen, um die eigene zu etablieren. Nach zwei Semestern wechselte er in die Mathematik, wo die Sätze des Euklid auch noch nach über 2000 Jahren gültig waren.
    Im Gegensatz zu meinem Vater stand meine Mutter viel direkter in meinem Leben. Wenn sie fand, dass ich am Wochenende nicht aus den Federn kam, erschien sie tänzelnd in meinem Zimmer und zwitscherte: »Oh wie schnell, oh wie schnell, ist der ganze Tag vorbei«, und zog die Vorhänge auf. Als ich einmal mit einem Mädchen im Bett lag und sie zu unserer Überraschung plötzlich im Zimmer erschien, gewöhnte sie sich an, mich nur noch in dringenden Fällen zu wecken und dann auch erst anzuklopfen. Sie fiel aber immer mal wieder mit der Tür ins Haus. Beim Frühstück überraschte sie mich und meine Freundin eines Morgens mit der Frage: »Ihr benutzt doch Kondome, oder?«
    Im ersten Jahr meiner Filmhochschul-Bewerbungen blitzte ich überall ab. Von den Kommissionen in München und Berlin hieß es, ich sei noch zu jung und naiv für das Filmstudium.
    Nach zwei Jahren ohne höhere Ausbildung begann meine Mutter sich ernstlich Sorgen zu machen und trug in ihre Agenda ein: ›Wann wird David endlich untergebracht? Seine Freunde haben schon alle einen Studienplatz!‹ Ich sah das nicht so dramatisch. Mir ging es ja gut und ich freute mich darauf,

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