Vergiss mein nicht (German Edition)
redeten. Ich nuschelte dann etwas wie: »Aber wir reden doch gar nicht miteinander.« Da verlor sie die Fassung, gab mir ein sanfte Ohrfeige und brach in Tränen aus. Auch ich weinte bitterlich und wir lagen uns daraufhin in den Armen. Puh! Jetzt hatte ich auch mal richtig Zoff zu Hause gehabt und konnte endlich wieder lieb zu meiner Mami sein.
Wogegen hätte ich auch wirklich rebellieren sollen? Ich fand meine Eltern generell super und habe ihre Art des Zusammenlebens nie weiter hinterfragt. Ich hatte zwar mitbekommen, dass die meisten anderen Eltern in einem Ehebett schliefen, aber mir erschienen getrennte Schlafzimmer wie bei uns zu Hause durchaus sinnvoll: Gretel und Malte begegneten sich, wenn sie es wollten, und nicht, weil es unvermeidlich war. Ich dachte auch, dass es bei uns keine Geheimnisse gebe und über alles offen und ehrlich geredet werde.
Bis mich meine Mutter, als ich gerade volljährig geworden war, zu einem Gespräch in die Küche bat und mir klar wurde, dass doch nicht alles so rosig war bei uns. Gretel begann damit, mir ihre allgemeinen Ansichten über die Liebe darzulegen. An lebenslange romantische Partnerschaft zweier Menschen glaube sie nicht. Sie sei mit Malte zusammengeblieben, weil sie gemeinsam eine Familie gegründet hatten. In ihren Augen sei eine Beziehung dann gut und gesund, wenn keiner auf Kosten des anderen lebte. Dabei hätten mein Vater und sie sich von Anfang an auch außereheliche Affären zugestanden, unter der Bedingung, zusammenzubleiben und zur Familie zu stehen. Für mich klang das erst einmal vernünftig, ich kannte den Begriff ›offene Ehe‹ von meinem Vater und fand das völlig selbstverständlich – sollte eine Ehe etwa ›geschlossen‹ sein? Bei ›offen‹ hatte ich bisher zwar eher an Offenheit im Sinne von ›offen und ehrlich miteinander reden‹ gedacht, aber wenn es denn unvermeidlich war, dass die Liebe zwischen zwei Menschen irgendwann aufhörte, sollte man dem anderen doch nicht verbieten, seinen Bedürfnissen nachzugehen. Die Sorge, dass ihr Partner im Verlauf seiner Liebschaften auf die Idee käme, sie zu verlassen, schien meine Mutter nicht umzutreiben. Und wenn sich meine Eltern so geeinigt hatten, war ja alles in Ordnung.
Doch dann kam meine Mutter auf eine Episode in meiner Kindheit zu sprechen, und es zeigte sich, dass ihr Lebenskonzept durchaus Probleme verursacht hatte. Als ich vielleicht neun Jahre alt war, hatten wir uns mit einer befreundeten Familie zu einem Urlaub in Italien verabredet. Ich kannte die Kinder aus dem Kindergarten und unsere Mütter standen in engem Kontakt. Kurz vor der Abreise sprangen meine Eltern aus unerfindlichen Gründen plötzlich ab. Ich fuhr dann alleine mit der Familie meiner Freunde in die Ferien. Das Ganze wurde nie aufgeklärt und blieb ein Mysterium für mich. Wir Kinder sahen uns dann immer sporadischer und der Kontakt unserer Mütter brach ab. Ich hinterfragte das nie und dachte, wir hätten uns wohl auseinandergelebt.
Ein Jahrzehnt später war ich erwachsen, und meine Mutter erklärte mir in dem ›Aufklärungsgespräch‹ am Küchentisch, was hinter dem plötzlichen Bruch mit der befreundeten Familie gestanden hatte. Mein Vater hatte damals mit Gretels Freundin eine Affäre gehabt, von der Gretel gewusst und die sie toleriert hatte. Die Freundin meiner Mutter lebte allerdings nicht in einer offenen Ehe, und als die Geschichte aufflog, fand ihr Mann das gar nicht lustig. Im Endeffekt überstanden beide Ehen die Krise, aber an gemeinsame Familienurlaube war nicht mehr zu denken.
Meine Mutter erzählte mir das nüchtern wie eine Nachrichtensprecherin, und ich nahm es zur Kenntnis, ohne weiter nachzuhaken. Später fragte ich mich, ob Gretel das Verhalten meines Vaters nicht als Grenzüberschreitung empfunden hatte. War sie damals wirklich nicht eifersüchtig gewesen? Von ihr hatte ich mal den Spruch gelernt: ›Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.‹
Jahre später befragte ich meine Mutter in einem Interview für ein Dokumentarfilm-Seminar über ihre Haltung zu Eifersuchtund Partnerschaft: »Ich habe sowieso etwas gegen Eifersucht«, erklärte sie mir, »und bin eigentlich mit Malte immer der Meinung gewesen, dass man durchaus Seitensprünge machen kann. Man soll sie nur nicht so machen, dass man den anderen dabei beleidigt, überhaupt nicht berücksichtigt oder über Leichen geht. Aber warum sollte man eifersüchtig sein, angesichts der doch überhaupt nicht zu
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