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Vergiss nicht zu atmen

Vergiss nicht zu atmen

Titel: Vergiss nicht zu atmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Sheehan-Miles
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werden konnte, dass er mit seiner Faust immer und immer wieder auf eine Mauer einschlug, bis die Knochen gebrochen waren. Ich verstand schon irgendwie, was mit dem Mann passiert war, aber es war schwer ihn mit dem Jungen, den ich gekannt und in den ich mich verliebt hatte, in Einklang zu bringen.
    Der Dylan, in den ich mich verliebt hatte, war einfühlsam und liebenswürdig. Nachdenklich. Lustig. Er war das Alles immer noch, hatte aber etwas an sich, das neu war und, um ehrlich zu sein, beängstigend. Das war der Mann, der die meiste Zeit des letzten Jahres Waffen getragen hatte. Das war der Mann, der getötet hatte, der gesehen hatte, wie seine Freunde im Kampf getötet worden waren. Es war etwas Tiefes an ihm, das komplett neu war, und beängstigend wie die Hölle. 
    „Also…“, sagte ich, meine Stimme wurde zu einem Flüstern. „Wo fangen wir an?“
    Er schenkte mir ein brillantes Lächeln, aber ich konnte spüren, dass er fürchterliche Schmerzen hatte. 
    „Ich habe keine Ahnung“, sagte er.
    Ich lehnte meinen Kopf zurück und kicherte dann. Am Ende sagte ich: „Lass uns das langsam angehen. Hier ist mein Versprechen, ich verspreche dem Ganzen eine Chance zu geben.“
    Er nickte. „Ich auch“, sagte er dann.
    „Weißt du, in mancher Hinsicht kennen wir uns kaum.“
    „Das ist wahr. Ich meine… wir waren siebzehn als wir das letzte Mal längere Zeit miteinander verbracht haben.“
    „Ich war sechzehn. Und ja… das ist eine lange Zeit.“
    „Und“, sagte er, „Es waren nicht unbedingt normalen Umstände. So schlecht ich inzwischen auf den mittleren Osten auch zu sprechen sein mag, die unglaubliche Romantik der Geschichte kann man nicht leugnen.“
    Ich sah zu ihm auf, sah ihm wieder in die Augen und er sagte: „Weißt du was?“
    „Was?“
    „Es gibt da einen positiven Nebeneffekt. Wir haben die Gelegenheit, uns wieder neu kennen zu lernen.“ Seine Stimme wurde immer leiser, bis sie fast nur noch ein heiseres Flüstern war, und er lehnte sich näher an mich heran und sagte in mein Ohr: „Wir können uns noch einmal ineinander verlieben. Wie cool ist das?“
    Ich lächelte so breit, dass meine Wangen schmerzten, brachte dann meine Lippen nah an sein Ohr und flüsterte: „Ich würde sagen, du bist es wert, sich zweimal in dich zu verlieben.“
    Die alte Dame, die Kelly und Joel verscheucht hatte, räusperte sich und begann zu murren. Ich verdrehte meine Augen ein bisschen, lehnte mich dann aber doch zurück. Es war sowieso egal, denn einen kurzen Moment später wurde Dylans Name aufgerufen.
    Ich stand auf und ging, immer noch seine unverletzte Hand haltend, mit ihm mit. In einem durch Gardinen geteilten Untersuchungsraum schaute sich ein junger Arzt, vielleicht auch noch Medizinstudent, seine Hand an und sagte: „Heilige Mutter Gottes, was haben Sie denn gemacht?“
    Dylan zog eine Grimasse. „Ich habe mit der Faust auf eine Wand eingeschlagen. Ziemlich heftig.“
    Der Arzt schüttelte seinen Kopf. „Na dass nenne ich mal einen höllischen Faustschlag. Wir müssen das Röntgen. Das tut bestimmt höllisch weh, ich muss die Wunde säubern, sonst entzündet sie sich. Noch ein paar Fragen… waren Sie früher schon mal im Krankenhaus?“
    „Ähm, ja“, sagte Dylan. Ich wusste, dass er das Alles schon im Aufnahmeformular beantwortet hatte. „Straßenbombe, im Februar. Hat mein Bein ziemlich übel zugerichtet. Schädelhirn-Trauma.“
    „Wie geht’s dem Bein?“ fragte der Arzt.
    „Wie sie sehen, bin ich hereingelaufen. Die anderen Kerle aus meinem Jeep sind tot. Mir geht’s gut.“
    Ich schauderte über die Sachlichkeit, mit der er das sagte. 
    Der Arzt sah über seine Brille hinweg zu Dylan, und sagte dann: „Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“
    Dylan zögerte, sah zu mir hinüber, als würde er über etwas nachdenken, und antwortete dann: „Oxycodon. Wir haben die Dosis seit ein paar Monaten stetig reduziert. Paroxetin. Und Trileptal.“
    Ich schluckte. Er nahm eine ganze Menge an Medikamenten ein. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt.
    „Trileptal“, sagte der Arzt. „Gegen Krampfanfälle?“
    „Ja, ich hatte hin und wieder welche. Mein behandelnder Arzt in Atlanta hat die Dosis von allem reduziert, aber als wir versuchten die Antikonvulsiva abzusetzen, na ja… hatte ich Krampfanfälle. Es war nicht lustig.“
    In diesem Moment wurde mir die Schwere seiner Kriegsverletzungen zum ersten Mal so richtig bewusst. Dylan Paris, der Junge, den ich gekannt hatte als wir Teenager

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