Vergraben
lockeren Pferdeschwanz. Sie schob etwas Rührei auf die umgedrehte Gabel.
»Wieso machst du dir Sorgen um mich?«
»Du weißt schon, wieso.«
Sie schob sich das Rührei in den Mund.
Während er ihr beim Essen zusah, sagte er: »Weißt du, es ist nicht gesund.«
Sie gab ihm ein lautloses Warnsignal.
Er sehnte sich nach einer Zigarette. Aber er hatte schon vor langer Zeit aufgehört.
Er sagte: »Du redest nie über sie. Nicht einmal jetzt.«
»Das stimmt nicht. Ich rede ständig über sie.«
»Du denkst ständig an sie. Aber das ist nicht dasselbe.«
»Was soll ich denn sagen? Du siehst jedes Mal so unglücklich aus, wenn ich sie erwähne.«
Das war ihm nicht bewusst gewesen.
Er sagte: »Das ist nicht fair. Wie soll ich denn reagieren? Du zeigst mir ja nicht, wie ich mich verhalten soll. Soll ich dabei etwa glücklich sein? Das bin ich nämlich nicht.«
»Ich will jetzt wirklich nicht deswegen streiten.«
»Ich will auch nicht deswegen streiten.«
»Was willst du mir dann sagen?«
»Also, pass auf. Du hast keine Fotos von ihr. Vielleicht wäre es besser … ich weiß nicht, nach so langer Zeit … vielleicht wäre es besser, wenn du einfach ein paar Fotos aufhängen würdest, oder so.«
Lange Zeit war sie ganz still. Und dann sagte sie: »Manchmal kann ich es kaum glauben.«
Er sah sie mit plötzlichem Entsetzen an.
Aber sie hatte ihm ein Kompliment gemacht. Sie trank den Kaffee aus und sprang aus dem Bett und huschte durchs Zimmer, nackt bis auf sein T-Shirt, der blasse Abdruck ihrer Bräune war noch sichtbar rund um ihren Hintern. Sie suchte ihre Kleider zusammen. Sie duschte schnell, und bald waren sie bei Grahams und Junes Haus in Sutton Down angekommen.
Nathan hatte sich nicht rasiert. Er trug eine alte Jeans, Turnschuhe und einen Mantel. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nie zugelassen, dass Hollys Eltern ihn anders als tadellos gekleidet sahen. Graham missbilligte Schlampigkeit.
Nathans Schwiegereltern waren wie immer so angezogen, als hätten sie Besuch erwartet, June hatte lediglich noch kein Make-up aufgetragen. Sie sah schockierend nackt aus ohne.
»Es ist doch nichts Schlimmes passiert, oder?«, fragte Graham.
Statt einer Antwort zeigte Nathan ihm die Einkaufstüten mit frischem Brot, Eiern, Speck und Obstsaft vom Bauernmarkt. Zum zweiten Mal an jenem Morgen bereitete Nathan das Frühstück zu. Holly machte Kaffee für alle.
»Und wie kommen wir zu dieser Ehre?«, fragte June.
Holly sah Nathan an.
»Na los, sag es ihnen.«
»Was soll ich ihnen sagen?«
»Was du mir heute Morgen gesagt hast.«
Nathan schaute hinunter auf die pochierten Eier.
»Was sollst du uns sagen?«, fragte Graham.
Holly verschränkte die Arme. »Nathan hatte eine Idee. Um den Jahrestag zu begehen … graben wir alle alten Fotos aus! Die Fotos von Elise. Und wir hängen sie wieder auf. In unserem Haus und in eurem. Und ich finde, er hat recht. Ich finde, das ist eine gute Idee.«
Sie frühstückten. Dann machte Graham sich im Gewächshaus zu schaffen, und Nathan saß Zeitung lesend im Wintergarten, während Holly zusammen mit ihrer Mutter auf den Dachboden stieg und mehrere zugeklebte Kartonschachteln herunterholte. Die gerahmten Fotos und Alben waren in Luftpolsterfolie verpackt und mit Klebeband umwickelt worden – typisch für June, dachte er, bei etwas so Unerträglichem so organisiert zu sein.
Er fragte sich, was er wohl gemacht hatte und wo er gewesen war an dem Tag, als diese Fotos verpackt worden waren – und wo er an dem Tag gewesen war, als June beschlossen hatte, Elises Zimmer auszuräumen und ein Büro daraus zu machen. Sie hatte darin ein ganzes Computernetzwerk eingerichtet und Drucker, Scanner und Aktenschränke hineingestellt. Sie hatte Elises Bett, ihren Schrank und ihre restlichen Möbel einem ihrer Wohltätigkeitsvereine gegeben. Elises persönliche Gegenstände standen in Schachteln auf dem Dachboden. Ihre Kleider würden gefaltet und luftdicht verpackt dort liegen bleiben und langsam unmodern und dann wieder modern werden.
Er konnte sich nicht erinnern, wo er gewesen war, oder wer. Jener Mensch war ihm fremd, er war unwirklicher als ein Geist.
Er schlenderte ins Esszimmer, wo June und Holly die Fotos auf dem Tisch ausbreiteten. Sie hielten sich an den Händen und lachten. Bei manchen Bildern schwelgten sie in Erinnerungen: Elise als Fünfjährige, pausbäckig an einem Strand in Cornwall, als Achtjährige in einem Rollkragenpulli, ohne Schneidezähne. Als schmollendes
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