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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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Geheimnis.«
    »Niemand.«
    »Mir kannst du es sagen. Du weißt doch, wie gut ich Geheimnisse bewahren kann.«
    Nathan wusste das allzu gut.
    »Es geht nicht um so was.«
    »Es geht immer um so was. Das ist menschlich.«
    Sie blieben stundenlang im Pub. Justin schien es für einen besonderen Anlass zu halten, und nach dem vierten Bier bestellte er eine Flasche Champagner.
    Er sprach lange über Bürointrigen. Und er fragte immer wieder, wer sie war. Nathan blieb dabei, dass sie niemand war.
    Als Nathan zu Hause ankam, war er betrunken. Holly saß im Bett und schaute fern. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er umfiel, als er versuchte, sich die Hose auszuziehen. Als er sich übers Bett beugte, um ihr einen Kuss zu geben, drehte sie sich weg. Sie stand auf und ging ins Bad, und als sie zurückkam, trug sie ein Nachthemd.
    Wie immer, wenn er etwas getrunken hatte, wachte er in den frühen Morgenstunden auf, weil er dringend pinkeln musste. Diemal jedoch blieb er zusammengerollt auf der Seite liegen, zog sich die Decke über den Kopf und versuchte wieder einzuschlafen.
    Am Morgen sagte er: »Es tut mir leid.«
    »Ach, vergiss es«, antwortete sie und stapfte nach unten. Auf halbem Weg blieb sie stehen und fügte hinzu: »Du hättest anrufen können.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid.«
    »Es ist mir egal, was du machst. Ich will nur wissen, dass es dir gut geht. Ich will einfach nur deine Stimme hören.«
    Nathan setzte sich aufs Bett. Seine Kleidung von gestern lag auf einem Haufen daneben und stanken nach Rauch und Bier. Er hätte sie am liebsten verbrannt.

30
    An jenem Morgen lag ein schmuddeliger brauner Umschlag in Nathans Fach. Weil darauf mit roter Farbe PERSÖNLICH UND VERTRAULICH gekritzelt war, hatte Angela ihn nicht geöffnet, sondern ihn obenauf auf seine übrige interne und externe Post gelegt. Manchmal fühlten Leute sich durch eine von Hermes’ comicartigen, obszönen Grußkarten gekränkt. Die Beschwerden trafen oft in ähnlichen Umschlägen ein.
    Er öffnete den Umschlag und entfaltete den Brief darin.
    Lieber N,
    natürlich verstehe ich deine Reaktion.
    Hier sende ich dir einige Mitschriften weiterer Gespräche. Man hört stets nur eine einzige Stimme (1) auf dem Band. Ich möchte noch einmal betonen, wie ungewöhnlich das ist.
     
    Band 1, Montag, 12 Uhr
    Dauer: 17 Minuten
    Bob, ich bin hier
    du Bastard (Judenbastard?)
    kalt hier
     
    Band 1, Montag, 15.40 Uhr
    Dauer: 9 Minuten
    bin nicht angekommen
    Bob!
     
    Band 1, Dienstag, 19 Uhr
    Dauer: 3 Minuten
    meine Augen
    meine Zähne
     
    Band 1, Dienstag, 23.30 Uhr
    Dauer: 1 Minute
    o Gott
    schrecklich

    Die Bürotür ging auf. Nathan zuckte zusammen.
    Es war Justin. Er lehnte mit verschränkten Armen in der Tür und gab sich Mühe, draufgängerisch und verkatert zu wirken. »Mann, du siehst übel aus.«
    Nathan zerknüllte Bobs Brief mit einer Hand. »Dankeschön.«
    »Das war wohl etwas viel für dich, was?« Er kam herein und schloss die Tür hinter sich. Seine parfümierte Körpermasse nahm einen großen Teil von Nathans kleinem Büro ein und der Geruch nach abgestandenem Alkohol und winzigen Pfefferminzbonbons und zu viel Issey Miyake war intim und abstoßend, wie auf überfüllten Flughafentoiletten. Nathan atmete durch den Mund.
    »Wie in alten Zeiten«, meinte Justin.
    »Hm.«
    »Bevor sie dich an die Leine gelegt hat.«
    »Sie hat mich nicht an die Leine gelegt.«
    »Wie auch immer. Das sollten wir wiederholen.«
    »Mhm.«
    »Cool«, sagte Justin und verließ das Büro, ohne die Tür zu schließen. Nathan beugte sich vor, um sie zuzumachen, und rief dann Bob von seinem Bürotelefon aus an.
    »Bob, ich bin’s …«
    »Hast du’s bekommen?«
    »Ja, ich hab’s bekommen. Was zum Teufel hast du dir bloß dabei gedacht ?«
    »Hast du’s gelesen?«
    »Nein«, antwortete Nathan und schielte durch die Glaswand. Der neue Praktikant mit Hochschulabschluss stand unendlich gelangweilt am Kopierer. Alle paar Sekunden huschte ein Lichtstreifen über ihn.
    Dann sagte Nathan: »Hör zu, Bob. Wir hatten viel Stress, okay? Ich meine, richtig viel Stress. Und Stress hat komische Auswirkungen. Stress ist gefährlich. Was du jetzt brauchst, ist Ruhe. Fahr ein paar Tage weg. Mach Urlaub.«
    »Sag mir nicht, was ich tun soll. Du bist derjenige, der die Tatsachen leugnet.«
    »Was für Tatsachen? Eine Stimme, die du auf einem leeren Band zu hören glaubst? Mein Gott, hast du auch nur den blassesten Schimmer, wie verrückt das klingt? Ich meine, auch nur die

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