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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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keine Ruhe. Er ist unglücklich, er hat keine Freunde. Er braucht Aufmerksamkeit. Weißt du, was ich meine?«
    Sie sagte nichts, was so viel wie »ja« bedeutete.
    »Na ja, es ist mir zu viel«, fuhr Nathan fort. »Er tut mir zwar leid und alles, aber mir reicht’s. Ich kenne ihn ja fast gar nicht. Deshalb will ich ihm heute Abend sagen, dass ich meine eigenen Probleme habe, dass er mich in Ruhe lassen soll.«
    Jetzt konnte er sie lächeln hören, als sie sagte: »Okay.«
    »Bis später«, verabschiedete er sich. »Warte nicht auf mich.«
    Um 19.45 Uhr rief er Bob an.
    »Hallo?«, meldete sich Bob.
    »Wo bist du?«
    »Warum?«
    »Hintergrundgeräusche.«
    »Ich bin im Pub.«
    »Okay. Gut. Pass auf, ich hab ein Problem bei der Arbeit. Ich sitze im Büro fest. Ich komme fünfzehn bis zwanzig Minuten später. Ist das schlimm?«
    »Nee, kein Problem.«
    »Dann sehen wir uns so um Viertel nach.«
    Er beendete den Anruf, schaltete das Handy aus und legte es ins Handschuhfach.
    In Wirklichkeit war er nicht bei der Arbeit. Er parkte vor Bobs Garage.

    Er wartete, bis niemand auf der Straße zu sehen war, stieg dann mit dem Mantel über dem Arm aus und ging zum Kofferraum. Er nahm den Bolzenschneider heraus, versteckte ihn unter dem Mantel und schlug den Kofferraumdeckel zu. Er ging zum Garagentor. Er sah sich nach links und rechts um und legte das kalte, schnabelförmige Ende des Bolzenschneiders an die Kette des Vorhängeschlosses an. Er umklammerte die langen Griffe mit den Fäusten und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf.
    Es war schwerer als er erwartet hatte, viel schwerer als es im Fernsehen aussah. Als die Kette endlich nachgab, schwitzte er, und über seine Brust und unter seine Achsel und über seinen Magen zog sich ein schmerzendes Band.
    Er schlich in die Garage und schaltete das Licht ein. Er schloss das Tor hinter sich und schob die Riegel vor. Der Audi war nicht da: Bob hatte ihn verkauft. Er hatte sich noch kein neues Auto besorgt, und die Garage war seltsam leer bis auf die alte Werkbank und die zweckmäßigen Regale und die rostige, brummende Kühltruhe. Es roch nach feuchtem Beton und verschüttetem Öl und alten Abgasen.
    Er untersuchte die Kühltruhe. An der Rückseite war sie durch dicke, staubige Spinnweben mit der Porenbetonwand verbunden. Nathan hielt einen Augenblick inne, dann durchschnitt er mit dem Bolzenschneider das kleine Vorhängeschloss am Deckel der Kühltruhe – es gab verhältnismäßig leicht nach.
    Nathan hob den Deckel der Gefriertruhe an. Ihre kalten Dämpfe kühlten den Schweiß in seinem Gesicht und auf der Vorderseite seines Hemdes ab. Er nahm die Körbe mit gefrorenen Erbsen und Mais heraus und stellte sie vorsichtig auf den Boden.
    Er fragte sich, ob die Zeit reichen würde, um Elises Kleider vor seinem Treffen mit Bob zu verbrennen. Die Knochen könnte er pulverisieren und dann in Ätzkalk legen. Die spermagetränkte Kleidung, jene pilzbefallenen Lumpen, stellten die größte Bedrohung dar.
    Nathan beugte sich tief in die Kühltruhe.
    Aber das zugeklebte Plastikpaket war nicht da.
    Die Knochen und die Kleider waren fort. Bob hatte sie woanders hingebracht.

33
    Er ließ das Garagentor offen herunterhängen wie einen gebrochenen Körperteil; vielleicht würde Bob denken, dass Jugendliche aus der Nachbarschaft eingebrochen hatten. Er warf den Bolzenschneider ins dichte Gebüsch und ging zurück zum Auto. Er startete den Motor, beschleunigte dann auf bis zu 100 Stundenkilometern und kam an der Ampel quietschend zum Stehen. Er trommelte mit dem Fingern aufs Lenkrad, während er darauf wartete, dass die Fußgänger die Straße überquerten.
    Als er wieder anfuhr, verhielt er sich weniger aggressiv. Er wollte nicht festgenommen werden. Er fuhr um die Ecke zu Bobs Wohnung und parkte gegenüber auf der anderen Straßenseite. Dann ging er zum Pub.
    Er blieb davor stehen, um seine Krawatte gerade zu rücken. Dann trat er überzeugend nervös und atemlos in den vertrauten Mief.
    Bob las über einen Tisch gebeugt die Times .
    Nathan setzte sich und stöhnte: »Alter Schwede.«
    Er lockerte seine Krawatte.
    »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«
    »Ich habe ein Leben , Bob. Ich muss einen Kredit abzahlen.«
    Bob nickte zu einem Glas Lagerbier hin, ihm gegenüber auf dem Tisch: »Ich hab schon mal was bestellt.«
    Nathan betrachtete die Bläschen, die sich vom Boden des Bierglases lösten und zur unbekannten Oberfläche aufstiegen. Er nahm einen Schluck. Am liebsten hätte er das Glas

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