Verhängnisvolle Sehnsucht (German Edition)
nicht so dunkel gewesen wäre, hätte er sie sehen können. Er spürte ihren Atem auf seinem Gesicht und lehnte sich automatisch vor. Ein Hitzestoß fuhr durch seinen Körper, als sich ihre Lippen berührten. Es war fast nur ein Hauch – zumindest bis Alyssa mit einem hungrigen Laut den Kuss vertiefte. Ihr Geschmack, das Gefühl, wie ihre Zunge seine berührte, ihre Zähne, die sich in seine Unterlippe gruben, ließen Kyle beinahe die Beherrschung verlieren.
»Achtung, wir kommen jetzt durch!«
Der Ruf von oben ließ sie auseinanderfahren. Kyle wollte protestieren und Alyssa wieder an sich reißen, doch die Gelegenheit war vertan. Jetzt konnte er nur noch dafür sorgen, dass sie möglichst unverletzt hier herauskam. Wie schon zuvor legte er seinen Arm über ihren Kopf und Hals, damit sie geschützt waren. »Mach die Augen zu, es wird sicher noch etwas herunterrieseln.«
Schon jetzt vermisste er ihre Hände an seiner Brust, die sie zurückgezogen hatte, doch dafür legten sich ihre Finger jetzt auf seinen Arm. »Werden wir uns wiedersehen?«
Kyles Kehle zog sich zusammen. Bevor er antworten konnte, gab es ein krachendes Geräusch, und eine Staubwolke senkte sich über sie. Gleich darauf drang Helligkeit durch den Spalt zu Alyssas Gefängnis, und er spürte, wie jemand seinen Arm vorsichtig von ihr entfernte. Zögernd zog er ihn zurück.
»Okay, wir haben Sie, Miss Thomas. Sie sind in Sicherheit.«
Kyle ballte seine Hände zu Fäusten und wartete darauf, dass sie ihn ebenfalls befreiten.
4
Alyssa blickte auf die Dessous hinab, die Carrie ihr vor einigen Stunden vorbeigebracht hatte. Als Ersatz für die bei dem Einsturz des Gebäudes zerstörten Stücke, hatte ihre Freundin gesagt und ihr dabei zugezwinkert. Sie hätte Carrie nie davon erzählen sollen, was zwischen ihr und Kyle unter den Trümmern geschehen war, doch schließlich hatte Alyssa von ihr auch eine Information haben wollen, und das war der Preis dafür gewesen. Als sie vor einer Woche aus dem Schutt gezogen worden war, hatte sie Carrie noch auf der Trage gebeten, vor Ort zu bleiben und zu beobachten, ob ihr Retter auch gut herauskam.
Ihre Freundin war danach ins Krankenhaus gekommen und hatte ihr erzählt, dass es tatsächlich Kyle Barnes gewesen war und eine seltsame Stimmung unter den Zuschauern geherrscht hatte, als er schließlich von dem Trümmerberg heruntergebracht worden war. Dadurch, dass er ihr sein T-Shirt gegeben hatte, waren seine Narben für alle sichtbar gewesen. Alyssa tat es jetzt noch weh, darüber nachzudenken, wie furchtbar das für ihn gewesen sein musste. Seit Tagen hatte sie darauf gewartet, dass er sie anrief oder sogar aufsuchte, doch das hatte er nicht getan. Entweder war alles, was dort unter den Trümmern geschehen war, für ihn nicht weiter wichtig gewesen, oder er hatte die seltsame Vorstellung, dass sie ihn in einer normalen Umgebung nicht sehen wollte.
Sie hoffte auf Letzteres und hatte sich deshalb nach einer Woche des Wartens entschlossen, zu ihm zu gehen, wenn er nicht zu ihr kam. Wahrscheinlich war es völlig irrsinnig, dabei genau die Dessous zu tragen, die sie während des Einsturzes angehabt hatte. Als würde er die überhaupt zu Gesicht bekommen! Aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt, und sie wünschte sich nichts mehr, als endlich seinen Körper ohne irgendwelche Barrieren an ihrem spüren zu können. Allerdings konnte sie schlecht einfach auf seiner Türschwelle stehen und ihm die Kleidung vom Leib reißen, deshalb hatte sie sich eine Entschuldigung ausgedacht, warum sie bei ihm auftauchte.
Sorgfältig faltete sie das gewaschene T-Shirt zusammen und steckte es in ihre Tasche. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass es besser nicht werden würde. Immerhin hatte sie Carries Rat befolgt und ein etwas tiefer ausgeschnittenes Sommerkleid angezogen, das ihre füllige Figur umschmeichelte und nicht ganz so langweilig wirkte wie ihre normale Kleidung. Sie konnte nur hoffen, dass es Kyle gefiel. Dass sie ihm gefiel, nachdem sie nun nicht mehr unter den Trümmern steckte und seine Hilfe brauchte.
Mit vor Aufregung feuchten Fingern parkte sie schließlich kurze Zeit später vor seinem Haus, das ein Stück außerhalb lag. Auf dem Weg hierher hatte sie erst gemerkt, wie einsam die Gegend war. Wenn er ihr etwas antun wollte … Nein, so ein Unsinn! Das Schlimmste, was er tun konnte, war, sie gleich wieder wegzuschicken. Das würde vielleicht ihr Herz brechen, aber er würde ihr nie körperlich wehtun.
Weitere Kostenlose Bücher