Verhängnisvolle Wiedersehen (The Immaculate Breed) (German Edition)
Unterwäsche auszuziehen, da ihre Haut während und nach der Umwandlung nicht mehr vertragen würde, als die reine, feingesponnene Seide des langen Hemds, das sie anziehen sollte. Glorias Finger glitten über den Stoff, befühlten ihn und befanden es in jedem Fall besser als das rückenfreie Krankenhaushemdchen, das sie bei ihrer ersten Nahtoderfahrung getragen hatte.
„Es sieht aus wie diese Kittel, in denen sie Verurteilte damals zum Schafott gefahren haben, nicht wahr?!“, versuchte sie schwach zu scherzen. Dovie ging nicht darauf ein sondern zog Gloria das Gewand über den Kopf und den schlanken Leib hinunter, nachdem sie von selbst in die Ärmel geschlüpft war.
Sie dachte wirklich zu viel nach. Sie konnte eben nicht anders. Selbst Rays nett gemeinte Worte draußen im Garten hatten sie weder entspannt noch beruhigt. Ihr Herz klopfte vor lauter Erwartung und Ungewissheit bis zum Hals, als Dovie sie sanft aber bestimmt vor einen Spiegeltisch platzierte, ihr die Hochsteckfrisur mit flinken Fingern löste und dann begann, ihre Haare zu kämmen. Das war ungewohnt für Gloria, doch sie widersprach nicht. Ganz im Gegenteil, jeder Bürstenstrich und jede glatt auf ihre Schulter fallende Haarsträhne mehr stimmten sie sicherer und irgendwie friedlich, während sie sich selbst im Spiegel betrachtete und sich selbst sagte, das sich nicht allzu viel ändern würde, wenn sie es hinter sich gebracht hatte. Sie würde immer noch Gloria sein. Kein Monster, nur so gut wie unsterblich. Ewig jung und dabei eigentlich recht hübsch anzusehen. Es gab gewiss schlimmere Dinge, die ihr passieren konnten.
Nein, die schlimmen Dinge waren ihr schon passiert. Zuerst der Überfall in der U-Bahn, dann das Herumspuken als Geist und schließlich die Blutspende von Peter und der Verrat ihrer Tante, die sie beinahe getötet hätte, wenn die anderen nicht rechtzeitig aufgetaucht wären. Hier in diesem Schloss wollte ihr niemand etwas Böses. Sie war in Sicherheit und wusste diese auch ganz bestimmt zu schätzen.
Jedenfalls verneinte sie Dovies Frage, ob sie oder jemand anders der Umwandlung zu Glorias eigenem Wohlsein zugegen sein sollte. Sie hatte Ray doch gerade noch gesagt, sie würde sich nicht vor ihm fürchten und ihm vertrauen. Ihn zu beleidigen oder seine Integrität infrage zu stellen, lag ihr fern. Sie würde jetzt keinen Schritt zurückmachen und nur verzichten, sofern ihm in der Zwischenzeit noch irgendwelche Bedenken gekommen sein sollten.
Als letztes wurde Gloria abgeschminkt. Ohne Make-up sah sie in diesem Gewand und den offenen Haaren ziemlich jungfräulich aus. Wie passend.
Ein sarkastischer Gedanke, den sie nach der Bemerkung mit dem Schafott allerdings lieber für sich behielt. Dabei war Galgenhumor an dieser Stelle sicher nicht so schlecht. Für so ein Spektakel hätte man im Mittelalter bis weit in die Neuzeit sicher hübsch Eintritt bezahlt. Vor allem, weil sich Glorias Brüste auch noch so nett unter dem dünnen, aber nicht durchsichtigen Stoff abzeichneten. Zurück in das schwarze Kleid konnte sie allerdings nicht mehr. Es war Zeit, rüber zu gehen. Ray wartete vielleicht schon.
Beinahe hätte sie Dovie um einen Schnaps gebeten, der ihr mehr geholfen hätte, als jedes weitere gut gemeinte, ermutigende Wort.
Unter Dovies Argusaugen stand Gloria von ihrem Platz auf, atmete noch einmal tief durch und folgte ihr dann langsam zur Tür. Sie zögerte, hinaus auf den Flur zu treten. Wenn sie jemand in dem Aufzug sah, dann... Nun ja, mit alten Eiern und Tomaten würde sie kaum beworfen werden.
Trotzdem war ihr plötzlich doch wieder schlecht und die Unsicherheit überwog. Da war es schon gut, dass die Hausangestellte immer noch zugegen war. Kneifen galt nicht. Die Umwandlung hatten schon ganz andere überstanden und sie hatte die denkbar günstigsten Bedingungen. Fast trotzig schenkte sie Dovie vor der Tür, hinter der Ray auf sie warten würde, einen letzten Blick, der ihre Furcht Lügen strafen sollte und schlüpfte dann ganz schnell in den Raum hinein. Am Türblatt gelehnt blieb sie stehen. Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich an das Dämmrige im Zimmer zu gewöhnen und eigentlich wollte sie auch gar nicht wissen, wie genau es hier aussah. Sicherlich so geschmackvoll wie der Rest des Castles.
Gloria wagte nicht wirklich, aufzusehen. Daran, dass es hier ebenfalls wie im Garten nach Karamell roch, erkannte sie, dass Ray hier war. Er hatte Kerzen angezündet oder anzünden lassen. Wieder so eine nette Geste,
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