Verheißung des Glücks
geblieben war. Ihrem Sohn das Heim zu erhalten, das er kannte und mit dem er vertraut war, fiel als Begründung aus. Sie hatte ihn ja gar nicht schnell genug loswerden können, nachdem die Schwierigkeiten einmal begonnen hatten. Er verstand auch nicht, warum sie damals nicht mit ihm gegangen war. Wenn sie das Haus nicht verkaufen wollte, hätte dort auch ein Verwalter nach dem Rechten sehen können. Nach Donalds Tod und ohne Lincoln hatte sie im Hochland keine Verwandten mehr. Ihre Familie lebte in England. Wenn man ihrem Bruder Richard glauben konnte, war das Verhältnis zu ihrer Verwandtschaft nie besonders innig.
Über die Jahre gelangte Lincoln zu dem Schluss, dass seine Mutter in Schottland geblieben war, um das Erbe seines Vaters zusammenzuhalten. Außer einem beträchtlichen Geldvermögen gehörten dazu auch Ländereien und Geschäftsanteile, deren Verwaltung viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt erforderte. In einem ihrer Briefe hatte sie einmal davon geschrieben und den Wunsch geäußert, Lincoln möge diese Aufgabe eines Tages übernehmen.
Das war einer jener zahlreichen Briefe, auf die er nie geantwortet hatte. Am Tag seiner Volljährigkeit war ihm das Ross'sche Familienerbe laut Gesetz zugefallen. Dieses Erbe anzutreten hätte für Lincoln allerdings auch bedeutet, Kontakt mit seiner Mutter aufnehmen zu müssen. Daher wollte er nichts davon wissen. Diese Entscheidung fiel ihm leicht, denn er war nicht auf das Geld seines Vaters angewiesen. Was sein Onkel ihm hinterlassen hatte, reichte durchaus, um damit ein gutes, standesgemäßes Leben zu führen.
Nun war Lincoln wieder in seinem alten Zuhause — er befand sich an dem Ort, wo er geboren worden war.
Hier hatte er die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht, und die Befürchtungen, gegen die er während der Reise angekämpft hatte, traten ein. Als er seiner Mutter zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder gegenüberstand, kam die Wut sofort zurück. Eleanor Ross wartete in der offenen Tür, während ihr Sohn, ihre Schwägerin und ihre Nichte aus der Kutsche stiegen. Schon viele Male hatte Lincolns Mutter so dagestanden und voller Hoffnung nach einer Kutsche Ausschau gehalten, die ihr den Sohn zurückbrachte. Eigentlich hätte dieser Anblick ein glückliches Lächeln auf Lincolns Gesicht zaubern sollen, aber er brachte nur den bitteren Geschmack von Wut und Ablehnung.
Vor zehn Jahren hatte er sie zum letzten Mal gesehen. Damals hatte sie ihn in England besucht, und es war ihm nicht gelungen, ihr aus dem Weg zu gehen. Später legte er sich dann stets irgendwelche Ausreden zurecht, um ihr nicht begegnen zu müssen. Aber nun gab es kein Zurück mehr.
Eleanor wirkte verhärmt und alt. Sie wurde bald fünfzig, doch ein Außenstehender hätte sie sicher älter geschätzt. Ihr Haar war bereits völlig ergraut. Schon bei ihrem letzten Besuch in England hatte eine graue Strähne ihr Haar durchzogen. Damals war sie erst neununddreißig Jahre alt gewesen. Sie wirkte müde. Sie sah aus, als wäre ihr das ganze freudlose Leben eine Last.
Sie trug schwarz wie eine trauernde Witwe. Dabei war sie wohlhabend, hätte in jungen Jahren reisen, das Leben genießen und sicher auch wieder heiraten können. Die ganze Welt hatte ihr offen gestanden. Stattdessen entschied sie sich dafür, in der Abgeschiedenheit des Hochlandes zu leben und allein zu bleiben. Vielleicht bereute sie das jetzt.
Lincoln empfand kein Mitleid mit ihr. Kein Gefühl der Freundlichkeit kam gegen die Wut an, die in ihm tobte. Er musste seine gesamte Willenskraft aufbieten, um nicht einfach wieder in die Kutsche zu steigen und davonzufahren. Lange konnte er seine Gefühle nicht im Zaum halten, das wusste er. Eigentlich war dieser Besuch im Hochland auf eine ganze Woche angesetzt. Anschließend wollten Lincoln und die Burnetts nach London aufbrechen, um den Anfang der Ballsaison nicht zu verpassen. Doch er konnte von Glück sagen, wenn er es ein oder zwei Tage lang hier aushielt, ohne dass Wut und Abneigung ihn überwältigten und es zu einem Eklat kam.
Henriette musste Lincoln mit sanfter Gewalt zum Haus schieben. Eleanor nickte er lediglich im Vorbeigehen zu. Dabei brachte er mit Mühe ein einziges Wort über die Lippen: »Mutter.« Dann betrat er die Eingangshalle, ohne sie noch einmal anzusehen. Er wunderte sich, dass es ihm überhaupt gelungen war, dieses Wort auszusprechen. Seine Tante füllte mit ihrem gewohnt fröhlichen Geplauder die angespannte Stille, die sich nach dieser kalten Begrüßung
Weitere Kostenlose Bücher