Verheißungsvolle Küsse
frei.
Die Erleichterung durchströmte ihre Adern wie eine Droge.
Ihre Lider senkten sich, fielen zu.
Die Kutsche sprang über eine Furche.
Der Schmerz traf sie wie ein Pfeil. Schwärze deckte sie wogenartig zu und zog sie in einen Abgrund.
Inmitten von Wärme, Weichheit und Wohligkeit erwachte sie wieder - mit dem entfernten Geruch von Kuchen in der Nase. Mince Pies. Süßes Gebäck. Üppige, eingemachte Früchte.
Die Aromen trugen sie zurück in die Kindheit, zu den Erinnerungen an längst vergangene Weihnachten. Zurück in die Zeit, in der ihre Eltern noch am Leben waren und die Gänge von Cameralle grenzenlos Freude erfüllte - Gelächter, gute Laune und ein alles durchdringender goldener Frieden.
Minutenlang ließ sie sich treiben. Im Vakuum der Zeit ein geisterhafter Besucher, der zurückgekehrt war, um vergangene Freuden, vergangene Lieben wieder auferstehen zu lassen. Dann verblassten die Visionen allmählich.
Der Frieden blieb.
Die Gegenwart hob ihr unerbittliches Haupt, die Gerüche machten ihr klar, dass sie Hunger wie ein Wolf hatte. Sie erinnerte sich, was passiert war, spürte den Schmerz in ihrer Schulter, die Steifheit und die Behinderung durch den Verband.
Zögernd schlug sie die Augen auf und sah ein Fenster. Es lag Schnee auf dem Sims. Schnee hing zwischen den Scheiben, Eisblumen klebten an dem Glas. Ihre Augen passten sich dem grauen Licht an, sie schaute in die Schatten neben dem Fenster - und entdeckte Sebastian, der dort saß.
Er beobachtete sie. Als sie nichts sagte, fragte er: »Wie fühlst du dich?«
Sie blinzelte, holte tief Luft, atmete langsam aus, um den Schmerz zu lindern. »Besser.«
»Deine Schulter schmerzt noch.«
Keine Frage. »Ja, aber …« Sie legte sich vorsichtig auf den Rücken. »Ja, aber nicht mehr so schlimm. Es ist erträglich, denke ich.« Dann runzelte sie die Stirn. »Wo sind wir?« Sie hob den Kopf. »Ariele?«
Er lächelte. »Sie ist unten mit Phillipe - in vollkommener Sicherheit!« Er zog seinen Stuhl näher ans Bett.
Helena streckte eine Hand aus, er nahm sie zwischen seine. »Also …«, sie war immer noch verwirrt, aber sichtlich beruhigt durch die Wärme seiner Hände, die die ihren umschlossen. »… sind wir noch in Frankreich?«
» Oui . Wir konnten nicht weit fahren, deshalb habe ich umdisponiert.«
»Aber …« Ihre Miene umwölkte sich. »Du hättest direkt nach St. Malo fahren sollen.«
Sein Blick sagte ihr, sie solle sich doch nicht so begriffsstutzig stellen. »Du warst verletzt und bewusstlos! Ich habe eine Nachricht zur Jacht geschickt und hier einen Zwischenhalt anberaumt.«
»Aber Fabien wird folgen.«
»Das versucht er zweifellos, aber er wird nach St. Malo oder nach Calais schicken. Sicherlich nimmt er an, dass wir nach Norden fliehen. Stattdessen sind wir nach Süden gefahren und zwar weg von der Küste.«
»Aber … wie gelangen wir dann nach England?« Sie schob sich höher in die Kissen, ignorierte den stechenden Schmerz. »Du musst bis Weihnachten zurück sein - zu deinem Familienfest. Und wenn Fabien uns sucht, können wir nicht hier bleiben. Wir müssen …«
» Mignonne , halte den Mund!«
Als sie verunsichert verstummte, fuhr er fort: »Es ist alles arrangiert. Meine Jacht wird in Saint-Nazaire warten, bis wir bereit sind abzufahren. Natürlich sind wir Weihnachten zu Hause.« Seine sehr blauen Augen sahen direkt in ihre. »Du hast nichts zu tun, außer gesund zu werden. Wenn du soweit genesen bist, dass du reisen kannst, segeln wir über den Kanal. Musst du sonst noch irgendetwas wissen?«
Sie bemerkte, wie gereizt seine Stimme klang. Erfreute sich daran. Seufzend drückte sie seine Hand. »Ich bin eine echte Plage, nicht wahr?«
Er prustete. »Du hast mich Jahre meines Lebens gekostet. Und Fabien auch!«
Bei der Erinnerung runzelte sie die Stirn. »Er wollte mich doch nicht verletzen, oder?«
»Nein. Er war entsetzt. Genau wie ich.« Sebastian verdrehte die Augen und erklärte: »Niemals hatte er vor, dir etwas anzutun. Oder Ariele.«
»Ariele? Aber …« Sie verstummte, suchte in seinen Augen, dann klärte sich ihr Blick. »Es war eine List ?«
»Eine herzlose vielleicht - aber ja, es war die sicherste Methode, dich seinen Wünschen zu unterwerfen.«
Er konnte sehen, wie sie zurückdachte, sich erinnerte, neu ordnete. Helena schüttelte den Kopf. »Er ist ein seltsamer Mann.«
»Eher ein unglücklicher …« Als er zu ihr hinuntersah, wie sie da auf dem Bett lag, wusste Sebastian, dass es stimmte.
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