Verheißungsvolle Küsse
ihrem Koffer versteckt, ins Futter eingenäht: ein Pass in die Freiheit und endlich ein eigenes Leben.
»Der Earl von Withersay ist ein liebenswürdiger Mann.« Louis’ Blick war auf den stämmigen Klotz gerichtet, der in der Gruppe stand, von der sie sich gerade entfernt hatte. »Hast du mit ihm geredet?«
»Er ist alt genug, mein Vater zu sein.« Und nicht nach meinem Geschmack …« Helenas Augen schweiften über die Menge. »Ich werde mich bei Marjorie über einen gewissen Herzog erkundigen. Sonst gibt es hier sowieso keinen passenden.«
Louis schnaubte verächtlich. »Seit einer Woche bist du umgeben von der Blüte englischer Aristokratie - ich glaube, du schraubst deine Ansprüche zu hoch. Eingedenk der Wünsche deines Onkels, könnte ich jede Menge Kandidaten für deine Hand finden.«
Helena fixierte Louis unnachgiebig. »Fabien und ich haben seine Wünsche besprochen. Ich gestatte es dir nicht, - wie sagt man doch - meine Pläne über den Haufen zu werfen.« Ihre Stimme war jetzt eisig. Sie strafte Louis’ Sturheit mit Verachtung und neigte hochmütig den Kopf. »Ich werde mit Marjorie in die Green Street zurückkehren. Du brauchst dich keinesfalls verpflichtet zu fühlen, uns zu begleiten.«
Damit rauschte sie davon. Sie erlaubte ihrem Mund, sich zu einem Lächeln zu entspannen, und glitt durch die Menge. Marjorie, Mme Thierry, Gemahlin des Chevalier Thierry, einem entfernten Verwandten, war nominell ihre Anstandsdame; Helena hatte sie auf der anderen Seite des Raumes erspäht. Sie begab sich in diese Richtung, war sich der männlichen Blicke, die ihr folgten, bewusst. Und erleichtert, dass in dieser Saison, in der sich die Gesellschaft in hektischen Aktivitäten erging, ihr Einstieg in diese wesentlich weniger auffiel als es sonst der Fall gewesen wäre. Häufchen von kichernden Ladys und geschwätzigen Gentlemen drängten sich aneinander, die Stimmung war ausgelassen dank Myladys Glühwein und dem viel versprechenden Auftakt der Festzeit. Man konnte mit einem Nicken und einem Lächeln an allen vorbeihuschen.
Durch Fabiens Vermittlung logierten Helena und Louis bei den Thierrys, im Nobelviertel der Stadt. Für Fabien und auch für Helena spielte Geld keine Rolle. Die Thierrys dagegen waren nicht vermögend und außerordentlich dankbar, dass Monsieur le Comte de Vichesse Unterkunft und Unterhalt bezahlte - ebenso wie Diener und eine Apanage, um die zahlreichen Freunde und Bekannten, die sie in ihrem einen, bedauerlich teuren Jahr in London kennen gelernt hatten, einzuladen.
Die Thierrys wussten selbstverständlich, welch starken Einfluss Fabien de Mordaunt hatte, sogar in England. Helenas Vormund besaß einen berüchtigt langen Arm. Sie waren nur allzu bereit, alles zu befolgen, was Monsieur Le Comte forderte; voller Eifer führten sie sein Mündel in die feine Gesellschaft ein und halfen ihr dabei, sich akzeptable Anträge zu sichern.
Mit großer Sorgfalt hatte Helena die Dankbarkeit der Thierrys gefördert. Trotz der Tatsache, dass Marjorie dazu neigte, sich Louis zu fügen, war sie ein Quell von Informationen über die guten Partien hier zu Lande.
Es musste doch wenigstens einen geben, der ihren Kriterien entsprach.
Marjorie, eine magere, aber elegante Blondine um die dreißig, plauderte angeregt mit einer Lady und einem Gentleman. Sie gesellte sich zu ihnen. Etwas später trennten sie sich und sie zog Marjorie beiseite.
»Withersay?«
Helena schüttelte den Kopf. »Zu alt.« Zu festgefahren, zu anspruchsvoll. »Louis sagt, es wäre ein Herzog hier - St. Ives. Was ist mit dem?«
»St. Ives? Oh, nein, nein, nein.« Marjorie riss entsetzt die Augen auf und wedelte obendrein abweisend mit den Händen. Sie sah sich um, dann beugte sie sich zu ihr und flüsterte: » Nicht St. Ives, ma petite! Er ist nichts für dich - in der Tat - er eignet sich für keine gut erzogene Mademoiselle.«
Mit gelüfteten Brauen wartete Helena auf weitere Einzelheiten. »Sein Ruf schockiert alle! Schon seit vielen Jahren ist das so. Nun, dieser Herzog gehört zum Hochadel und hat riesige Besitzungen; aber es sieht nicht so aus, dass der jemals heiraten würde.« Marjories viel sagende Gestik zeigte, wie unbegreiflich sie das fand. »Das akzeptiert die Gesellschaft - angeblich hat er drei Brüder, der ältere von ihnen ist jetzt verheiratet und hat einen Sohn …« Noch ein verständnisloses Achselzucken. »Also ist der Herzog gar keine respektable Partie und überdies …« Sie hielt inne, suchte nach dem richtigen
Weitere Kostenlose Bücher