Verhext
weißes Spitzenumhängetuch etwas fester um ihre nackten Schultern. »Ich nehme an, daß du nicht zu Schaden gekommen bist.«
»Nein.«
»Anders als in der Nacht in Pettigrews Vestatempel, als du die Wahrheit erst zu spät entdeckt hast.«
Es gab eine kurze, angespannte Pause. Schließlich räkelte sich Marcus wie ein großes Raubtier, das eine bequemere Stellung sucht. Er lehnte sich in die Kissen, kniff die Augen zusammen und kreuzte die Arme vor der Brust.
»Ich habe Dorchester klar gemacht, daß ich Juliana noch nicht einmal heiraten würde, wenn er dafür sorgen würde, daß man uns beide zusammen nackt in einem Bett überraschte«, sagte Marcus bestimmt.
»Oh.« Iphiginia wußte nicht, was sie sonst noch hätte sagen sollen.
»Ich habe ihn an meinen Grundsatz erinnert, nicht noch einmal zu heiraten. Offenbar hat er mich beim Wort genommen. Auf jeden Fall hat er es von da an unterlassen, mir Juliana aufzudrängen. Aber in diesem Jahr ist er anscheinend zu dem Schluß gekommen, daß mein Bruder ein annehmbarer Ersatzkandidat ist.«
»Also hast du heute abend erneut versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen«, schloß Iphiginia. »Aber dieses Mal hast du noch ein zusätzliches Problem. Dein Bruder ist in Juliana verliebt.«
»Mein Bruder ist Julianas Schönheit und der schwülstigen Prosa der Byronschen Dichter erlegen. Das ist etwas anderes als Liebe.«
Iphiginia zuckte zusammen, als sie die Verachtung in seiner Stimme bemerkte. »Wieso bist du dir so sicher, daß die Gefühle, die dein Bruder für Juliana hegt, etwas anderes als wahre Liebe sind?«
»Um Himmels willen, er ist gerade mal zwanzig. Er erlebt zum ersten Mal so etwas wie Leidenschaft. Und in der für junge Männer typischen Art versucht er, seine vollkommen natürlichen Gelüste zu etwas Höherem zu erheben, indem er sie als Liebe bezeichnet.«
»Vielleicht empfindet er ja wirklich mehr für Juliana, als du denkst.«
»Das ist wohl eher unwahrscheinlich«, murmelte Marcus.
»Was wolltest du eigentlich damit erreichen, daß du heute abend deine angebliche Verlobung bekanntgegeben hast?«
»Die Verlobung ist echt. Wir werden heiraten, Iphiginia.«
»Darüber sollten wir irgendwann anders sprechen«, sagte sie. »Im Augenblick geht es um deinen Bruder. Du denkst also, daß Dorchester seine Meinung bezüglich einer Heirat zwischen seiner Tochter und deinem Bruder ändert, wenn er glaubt, daß du es dir anders überlegt hast und selbst heiratest.«
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Sie ignorierte diesen Einwurf. »Vielleicht ist es dir ja sogar gelungen, Dorchester davon zu überzeugen, daß dein Bruder keine gute Partie für seine Tochter ist, aber was ist mit Bennet und Juliana?«
»Was soll mit ihnen sein? Julianas Eltern werden ihr nicht erlauben, meinen Bruder zu heiraten, wenn sie denken, daß ich ihn enterbe. Sie haben es doch einzig und allein auf einen Teil des Masterschen Vermögens abgesehen. Und ich bin derjenige, der darüber verfügt, nicht Bennet.«
»Marcus, ich glaube, so einfach ist das Ganze nicht. Ich habe das Gesicht deines Bruders gesehen. Er ist wirklich der Überzeugung, daß er Juliana liebt.«
»Er wird bald dahinterkommen, daß ihm das nicht viel nützt. Dorchester wird Juliana von meinem Bruder fernhalten und sie so bald wie möglich einem anderen Mann auf den Hals hetzen.«
»Unsinn. Du und Dorchester seid beide Idioten, wenn ihr wirklich glaubt, daß ihr so einfach über das Leben anderer Menschen bestimmen könnt. Juliana und Bennet sind jung, aber sie sind keine Kinder mehr. Man kann nicht wissen, was sie vielleicht tun, wenn du und Dorchester versucht, ihnen euren Willen aufzuzwingen.«
Marcus blickte sie aus der Dunkelheit heraus an. »Was willst du damit sagen? Daß sie durchbrennen könnten?«
»Das wäre immerhin möglich.«
»Niemals. Ich gebe zu, daß Bennet im Augenblick vielleicht verrückt genug ist, Juliana einen derartigen Vorschlag zu machen, aber Juliana ist eine sehr vernünftige junge Frau. Sie würde wohl kaum einen Mann heiraten, dessen finanzielle Situation nicht gesichert ist.«
»Du meinst also, sie würde eher des Geldes wegen als aus Liebe heiraten?«
»Genau. Vergiß nicht, ich habe sie letztes Jahr erlebt.«
»Ich nehme an, daß du eher ihre Eltern erlebt hast. Die arme Juliana hat bestimmt nur versucht, die Anweisungen ihres Vaters und ihrer Mutter zu befolgen.«
»Das ist doch dasselbe.«
»Marcus, ich sage es zwar nicht gern«, fuhr Iphiginia fort. »Aber du
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