Verhext
Öffnung
passe.«
Iphiginia sah sich das Fenster ebenfalls genauer an. »Aber ich.«
»Wenn du dir einbildest, daß ich dir erlaube, durch das Fenster zu klettern -«
»Marcus, sei vernünftig. Ich werde einfach durch das Fenster krie-chen und dir die Tür von innen aufmachen. Dann bist du sofort bei mir.«
»Hmm.« Er zögerte, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen seiner Neugierde und seiner Sorge um sie. »Also gut. Aber verlier keine Zeit, wenn du drin bist. Geh direkt zur Tür.«
»Ja.« Iphiginia baute sich vor dem offenen Fenster auf. Es war zu hoch, als daß sie einfach hätte hindurchklettern können. »Du mußt mir helfen.«
»Das sehe ich.« Marcus umfaßte ihre Taille und hob sie mühelos hoch.
Iphiginia erschauderte, als sie daran dachte, wie seine Hände vor zwei Nächten ihre nackte Haut berührt hatten. Er war so stark, und sie fühlte sich in seinen Armen so sicher.
»Beeil dich, Iphiginia.«
»Ja, natürlich.« Sie schüttelte die heißen Erinnerungen ab und konzentrierte sich auf das Fenster.
Es war unerwartet schwierig, durch die schmale Öffnung zu krabbeln. Iphiginia wurde von den langen, rüschenverzierten Röcken ihres weißen Musselinkleids und von ihrer Jacke behindert.
»Großer Gott«, murmelte Marcus irgendwo hinter ihr. »Wie viele Unterröcke hast du bloß an? Ich ersticke gleich.«
»Es ist heute recht kühl.« Iphiginia spürte überdeutlich seine Hand an ihrer Wade.
Ein paar Sekunden später landete sie in dem dunklen Zimmer. Als sie die Hand ausstreckte, um die Balance nicht zu verlieren, stieß sie gegen einen Stapel Papiere, die auf einem Tisch vor ihr lagen. Mehrere Blätter fielen zu Boden.
»O je«, murmelte sie.
»Was ist los?« wollte Marcus umgehend wissen.
»Nichts. Ich habe nur ein paar Papiere runtergeworfen.« Iphiginia bückte sich, um sie aufzuheben. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, starrte sie verblüfft auf das Durcheinander in dem Raum. »Großer Gott, Marcus, hier liegen überall Papiere,
Bücher und so herum. Das ganze Zimmer sieht aus, als sei ein Wirbelsturm durchgefegt.«
»Mach die Tür auf. Schnell.«
Iphiginia richtete sich auf, ging zur Hintertür und schloß auf. Marcus kam herein und machte die Tür hinter sich zu. Einen Augenblick verharrte er vollkommen reglos und sah sich um.
»Verdammt«, sagte er leise. »Das Zimmer ist durchsucht worden.«
Iphiginia starrte auf das Chaos. »Was meinst du, was hier passiert ist?«
»Keine Ahnung.« Marcus ging hinüber zu der schmalen Treppe, die nach oben zu den Privaträumen führte. »Warte hier. Ich will mich kurz oben umsehen.«
Iphiginia ignorierte ihn. Sie folgte ihm die Treppe hinauf in die erste Etage und blieb neben ihm in der Tür stehen, die zu einem kleinen Wohnzimmer führte.
Hier herrschte Ordnung. Der Sekretär war sorgsam verschlossen. Die Möbel waren nicht umgeworfen. Der Teppich war nicht mit Papieren übersät.
»Anscheinend ist dieser Raum nicht durchsucht worden«, stellte Iphiginia fest.
»Nein.« Marcus drehte sich um und ging den Flur hinab.
Iphiginia folgte ihm.
Gemeinsam sahen sie in eins der kleinen, gemütlichen Zimmer nach dem anderen, und dann erklommen sie die Stufen zum zweiten Stock.
Erst als Marcus seine Hand auf den Knauf der Schlafzimmertür legte, wurde Iphiginia von einer dunklen Vorahnung befallen.
»Marcus?«
»Ich gehe als erster hinein.«
Er öffnete die Tür und verharrte reglos in der Öffnung.
Iphiginia versuchte, an Marcus’ breiten Schultern vorbeizusehen. Auf dem Boden entdeckte sie etwas, das wie ein graues Kleid und ein Paar halbhoher Schuhe aussah. »O mein Gott, ist das ... ?« »Zweifellos. Bleib, wo du bist.«
Dieses Mal gehorchte Iphiginia. Sie beobachtete, wie Marcus zu der Leiche hinüberging, neben der toten Frau stehenblieb und sich hinkniete, um sie zu untersuchen.
»Sie ist erschossen worden«, sagte Marcus und berührte einen der Finger einer schlaffen Hand.
»Ist sie ... ?«
»Tot? Ja.« Marcus erhob sich. »Ich schätze, seit ein paar Stunden.«
Iphiginia spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie schnappte nach Luft und verließ eilig den Raum.
Marcus kam ebenfalls auf den Flur und sah sie besorgt an. »Ist alles in Ordnung?«
Iphiginia nickte eilig. »Ja, ich glaube.«
»Komm, laß uns von hier verschwinden. Das letzte, was ich will, ist, in der Wohnung einer Ermordeten angetroffen zu werden.«
Marcus schob sie vor sich die Treppe hinunter.
»Glaubst du, Mrs. Wycherley wurde
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