Verhext
unser Gespräch irgendwann anders fortführen. Zufälligerweise wollten wir gerade aufbrechen, nicht wahr, Iphiginia?«
»Ja, in der Tat.« Sie trat eilig einen Schritt zurück und bedachte Amelia mit einem unsicheren Lächeln. »Wir wollen zur Wycherley Agentur, um zu sehen, ob wir dort etwas in Erfahrung bringen können.«
»Du brauchst Constance Wycherley nicht von mir zu grüßen«, murmelte Amelia. »Ich mochte die Frau noch nie besonders.«
Das war knapp gewesen. Viel zu knapp.
Zwanzig Minuten später, nach einer schweigsamen, bedrückten Kutschfahrt zu einer kleinen Nebenstraße der Oxford Street, spürte Iphiginia immer noch die Nachwirkungen der Auseinandersetzung mit Marcus.
Sie saß wegen Masters Grundsätzen in der Klemme, und das war allein ihre Schuld, dachte sie, während sie aus dem schwarzen Zweispänner stieg.
Sie hätte wissen müssen, daß Marcus sich verpflichtet fühlen würde, sie zu heiraten, wenn er erst einmal herausfand, daß sie keine Witwe war. Aber sie hatte geglaubt, ihn täuschen zu können.
Sie hatte sich eingeredet, daß sie Marcus genau wie alle anderen Menschen zum Narren halten könnte. Doch sie hätte es besser wissen müssen.
Und nun mußte sie einen Weg finden, um Marcus davon zu überzeugen, daß er nicht verpflichtet war, sie zu heiraten.
Das würde nicht leicht werden. Sie beide waren einander in vielen Dingen viel zu ähnlich. Der Mann war einfach zu stur und zu willensstark.
»Hier ist Nummer elf.« Marcus blickte mit gerunzelter Stirn auf die verdunkelten Fenster der Wycherley Agentur. »Es scheint geschlossen zu sein.«
»Wie eigenartig.« Iphiginia musterte die zugezogenen Vorhänge. »Es ist noch nicht einmal vier.«
»Vielleicht war Mrs. Wycherley gezwungen, aus irgendwelchen Gründen früher zu schließen.«
»Man sollte meinen, daß sie Angestellte hat.«
»Stimmt.« Marcus ging hinüber zur Tür und drehte versuchsweise am Knauf. »Zu.«
Iphiginia hob den Kopf. Die beiden oberen Stockwerke des Gebäudes lagen ebenfalls im Dunkeln. »Ich frage mich, ob Mrs. Wycherley wohl über der Agentur lebt.«
»Höchstwahrscheinlich.« Marcus trat einen Schritt zurück, um ebenfalls nach oben zu blicken. »Aber falls sie zu Hause ist, empfängt sie bestimmt keinen Besuch.«
»Vielleicht ist sie krank.«
»Manwaring hat doch gesagt, er hätte gestern erst mit ihr gesprochen. Hat er erwähnt, daß sie leidend ist?«
»Nein. Aber das heißt nicht, daß sie nicht vielleicht über Nacht krank geworden ist«, sagte Iphiginia. »Oder vielleicht ist sie aufs Land gefahren.«
»Was bedeuten würde«, sagte Marcus nachdenklich, »daß die Geschäftsräume und die Zimmer darüber wahrscheinlich leer stehen.«
Iphiginia sah ihn fragend an. »Willst du etwa das vorschlagen, von dem ich denke, daß du es vorschlagen willst?«
»Du kennst mich einfach zu gut, Iphiginia.« Marcus nahm ihre Hand und blickte sich um, um sicherzugehen, daß sie von niemandem beobachtet wurden. »Komm. Es kann nicht schaden, sich kurz umzusehen.«
Iphiginia protestierte nicht, als er sie ans Ende der kurzen Straße und um die Ecke in die schmale Gasse hinter den Häusern führte. »Aber was hoffst du, dort zu finden?«
»Wer weiß? Eine der obersten Regeln wissenschaftlicher Nachforschungen ist die, möglichst viele Fragen zu stellen.«
»Und welche Fragen stellst du im Augenblick?«
»Warum ein erfolgreiches, etabliertes Unternehmen so früh am Tag zumachen sollte.«
Iphiginia wurde von einem unguten Gefühl beschlichen. »Vor allem an dem Tag, nachdem mein Mittelsmann die Besitzerin aufgesucht hat, um ihr ein paar Fragen über ehemalige Kunden zu stellen?«
»Genau.«
Marcus führte sie an einer Reihe von Häusern vorbei, hielt an der Hintertür von Nummer elf und klopfte leise an.
Keine Antwort. Er drehte vorsichtig am Knauf. »Ebenfalls zu.«
Iphiginia betrachtete die kleinen Fenster zu beiden Seiten der Tür und stellte fest, daß das rechte offenstand. »Guck mal, Marcus.«
Er folgte ihrem Blick. »Anscheinend hat jemand das Haus in ziemlicher Eile verlassen und vergessen, alle Fenster zu schließen.«
»Anscheinend.«
Marcus machte das Fenster weit auf, schob den Vorhang beiseite und spähte in das Innere des Hauses.
Iphiginia quetschte sich neben ihn. »Kannst du irgendwas erkennen?«
»Nicht viel. Es ist ziemlich dunkel wegen der Vorhänge. Warte einen Augenblick.« Er trat einen Schritt zurück und musterte das Fenster. »Verdammt. Ich glaube nicht, daß ich durch die
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