Verhext
ausgeraubt?« fragte Iphiginia.
»Nein.« Marcus blieb auf dem Treppenabsatz im ersten Stockwerk stehen und blickte noch einmal in das Wohnzimmer. »Dann hätte der Dieb die silbernen Kerzenhalter und ein paar andere Sachen mitgenommen.«
»Was ist dann passiert?«
»Ich weiß nicht genau, aber ich kann es mir so ungefähr denken.«
»Und?«
»Ich nehme an, daß Mrs. Wycherley die Erpresserin war und daß deine Tante und meine Freundin nicht die einzigen Opfer waren. Ebensowenig wie wir die einzigen waren, die die Verbindung zur Wycherley Agentur gesehen haben.«
»Du meinst also, daß gestern nach Mr. Manwaring noch jemand hier war?«
»Ja. Es ist durchaus vernünftig anzunehmen, daß Mrs. Wycherley von einem ihrer Opfer ermordet wurde.« »Und anschließend hat der Täter ihre Unterlagen durchsucht, um das Material, mit dem sie ihn erpreßt hat, zu vernichten.«
»Ja.«
»Marcus, das ist einfach genial. Das würde alles erklären.« Iphiginia runzelte die Stirn. »Außerdem heißt das, daß die Krise überstanden ist.«
»Anscheinend.«
Sie versuchte, Erleichterung zu verspüren. Schließlich war Tante Zoes Geheimnis wieder sicher.
Aber das Problem mit dem Erpresser war nicht das einzige, was sich erledigt hatte. Zugleich hatte sie keine Entschuldigung mehr, um weiterhin die Rolle von Marcus’ Mätresse zu spielen.
Kapitel dreizehn
Um sieben Uhr an diesem Abend saß Marcus am Arbeitstisch in seinem Laboratorium und grübelte darüber nach, wie man eine Mätresse zu seiner Ehefrau machte.
Das war ein Problem, über das er noch nie nachgedacht hatte. Im Vergleich dazu erschien ihm die Konstruktion von Uhrwerken, Teleskopen und Füllfederhaltern mit einem hydraulischen Reservoir direkt einfach.
Er schob das ledergebundene Notizbuch, das er erst vor wenigen Minuten geöffnet hatte, beiseite, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Füße auf den überquellenden Schreibtisch.
Trübsinnig starrte er auf den mechanischen Butler, den er letztes Jahr gebaut hatte. Er stand reglos in der Ecke, ein Silbertablett in einer der Holzhände. Aus einer Laune heraus hatte Marcus dem Automaten einen ordentlichen schwarzen Frack und ein weißes Hemd aufgemalt. Er hatte sogar versucht, die kalten Augen und den ernsten Mund mit den aristokratisch verächtlichen Zügen von Lovelace zu versehen.
Das Leben war ihm so einfach erschienen, bis Iphiginia in sein sorgsam geordnetes Universum eingedrungen war, dachte Marcus.
Wie eine Sternschnuppe war sie plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht und hatte den Himmel erhellt. Aber wenn er keinen Weg fand, um sie festzuhalten, würde sie sich entweder in einem sprühenden Funkenregen auflösen oder mit einem lauten Knall auf die Erde stürzen.
Ein Klopfen an der Tür des Laboratoriums riß Marcus aus seinen Träumen. »Herein.«
»Marcus?« Bennet steckte den Kopf durch die Tür. »Ich dachte mir, daß du wahrscheinlich hier bist. Arbeitest du?«
»Nein. Komm rein.«
Bennet betrat den Raum mit dem schleppenden, müden Gang, den er neuerdings chic fand, schloß die Tür und näherte sich dem Arbeitstisch. Marcus sah ihn an und zuckte zusammen. Sein Bruder war heute wieder mal ganz der von Weltschmerz erfüllte Poet.
Bennets dunkles Haar war sorgsam zerzaust. Der Kragen seines Hemdes war geöffnet, und er trug weder ein Halstuch noch eine Weste.
»Ich hoffe, du hast die Absicht, eine Krawatte anzulegen, ehe du ausgehst«, murmelte Marcus. »Du wirst heute abend bestimmt auf keinem Ball und keiner Soiree zugelassen, wenn du aussiehst, als seist du gerade erst aufgestanden.«
»Ich habe meine Abendgarderobe noch nicht an.« Bennet ging hinüber zum Fenster und lehnte sich gegen den Rahmen. Er war wirklich die Langeweile in Person. Grüblerisch starrte er auf den Garten hinaus.
»Wolltest du etwas Bestimmtes?« fragte Marcus nach einer Weile.
Bennet sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, daß ich einen Entschluß gefaßt habe.«
»Willst du eine Reise auf den Kontinent machen?« fragte Marcus ohne große Hoffnung.
»Ich werde Dorchester um die Hand seiner Tochter Juliana bitten.«
»Verdammt.«
»Marcus, ich muß es jetzt tun. Um Himmels willen, verstehst du das denn nicht? Wenn ich warte, bis ich von einer Reise auf dem Kontinent zurück bin, hat Dorchester sie in der Zwischenzeit mit einem anderen verheiratet.«
»Nur, wenn du Glück hast.«
»Verflucht.« Bennet fuhr herum und starrte seinen Bruder
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