Verico Target
leichte
Sportschuhe und griff sich sowohl ihre eigene, als auch Sue Anns
Handtasche; die beiden Mädchen trugen immer noch
Bühnen-Make-up, und ihr Haar - Sue Anns wasserstoffblond und
Jeannes natürlich rot – stand in allen Richtungen vom Kopf
ab. Jeanne packte Sue Anns Arm und steuerte sie die Hintertreppe
hinab, vorbei an der Bühnentür zum Keller und durch
stickige, von den Heißwasserspeichern aufgeheizte unterirdische
Korridore bis zu einer Tür, die zur Ladezone führte und
weit entfernt war vom prachtvoll funkelnden Haupteingang des
Casinos.
Und wenn jetzt da draußen auf dem Parkplatz jemand wartete?
Auf Sue Ann?
Jeanne zwang sich zu normalen Schritten. Aber nichts war normal,
nichts würde je wieder normal sein! Seit vier Monaten war nichts
mehr normal, seit sie nach Las Vegas gekommen war, um hier zu Amber
zu werden, seit sie ihren Ford Escort aus dritter Hand – ein
Geschenk zum Schulabschluß – aus der Zufahrt ihres
Elternhauses in East Lansing, Michigan, gefahren hatte, weil East
Lansing, Michigan, nicht gut genug gewesen war für sie –
nicht für sie, Jeanne Cassidy, der es doch bestimmt war, ein
lustvolles und aufregendes Leben zu führen und im Rampenlicht zu
stehen… Wieder machte ihr Magen einen Satz, und einen Augenblick
lang dachte sie, ihr würde schlecht werden. Sue Ann begann leise
zu stöhnen – und es klang sonderbar gleichgültig.
Jeanne kannte dieses Geräusch; sie hatte es vor langer Zeit
einmal von einem Häschen gehört, das in eine Cojotenfalle
geraten war und sich mit dem Sterben abgefunden hatte.
»Geh weiter!« zischte Jeanne, obwohl Sue Ann gar nicht
stehengeblieben war.
Meilen um Meilen um Meilen… Der Parkplatz schien endlos. Doch
an diesem Ende gab es keine Luxuslimousinen, keine Cadillacs, keine
Porsches. Jeanne hatte ihren Escort unmittelbar neben einem Holzzaun
abgestellt, in der Hoffnung auf ein wenig Nachmittagsschatten. Jetzt
hingegen war der Zaun eine hochaufragende düstere Barriere,
hinter der sich alles mögliche verbergen konnte…
Sie setzte Sue Ann in den Wagen, schlug die Tür hinter ihr zu
und schob sich hastig auf den Fahrersitz. Auf der Straße aus
der Stadt fühlte sie sich mit einemmal besser – und dann,
nur ein paar Minuten später, schlechter. Sie wurde von einem
neuerlichen Schwindelanfall erfaßt, und der Wagen scherte nach
rechts aus. Sie zwang ihn zurück in die Mitte der Fahrbahn.
»Cadoc«, sagte Sue Ann tonlos. »Verico.
Cadaverico.«
»Hörst du jetzt endlich auf mit diesem Zeug?« Ein Scherz, der mich totmachen wird. »Hör mal,
Susie, wo lebt eigentlich deine Familie? Deine Eltern?«
»Keine Eltern mehr.«
»Dann eben Schwestern. Oder Brüder. Oder irgendwer
anderer.«
»Niemand.«
»Verdammt, du mußt doch irgend jemanden haben! Jeder
hat irgend jemanden irgendwo!«
»Ich hatte Carlo.«
Jeanne hätte ihr liebend gern eine runtergehauen, doch sie
beherrschte sich und hielt die Augen starr auf die Zufahrt zum
McCarron-Flughafen gerichtet.
Ein Jet dröhnte über ihre Köpfe hinweg und setzte
zur Landung an. Jeannes Bauch begann sich zu verkrampfen, und etwas
Nasses, Klebriges glitt zwischen ihre Beine.
Ihre Periode. Jetzt!
»Susie, wo kannst du hin? Zu wem? Denk nach, zum
Geier!«
Zum erstenmal verlor Sue Anns Stimme etwas von ihrer tonlosen
Verzweiflung. »Meine Cousine Jolene. In Austin…«
»Gut. Also zur Cousine Jolene. Gut!« Sie würde das
Ticket mit ihrer VisaCard zahlen. Falls der Kreditrahmen noch nicht
überzogen war. Es mußte noch reichen – aber
sie hatte sich erst kürzlich diese Schlangenlederstiefel
gekauft…
Jeanne blieb in der Kurzparkzone stehen und riß Sue Anns
Tür auf. Die Bewegung drückte einen weiteren Klumpen Blut
zwischen ihre Beine – sie spürte, wie er sich durch
das Trikot und um das Höschen herum quetschte. Diese
gottverdammte Regel kam nie zum berechneten Zeitpunkt und nur dann,
wenn man sie absolut nicht brauchen konnte! In ihrem Leib krampfte
es. »Komm schon, Susie…!«
Sie hasteten zwischen zwei Reihen abgestellter Wagen hindurch
über den hellerleuchteten Parkplatz. Der Schmerz fuhr Jeanne
durch die Eingeweide, und sie blieb zögernd stehen.
»Hör mal, Sue Ann, mir fällt gerade ein, daß ich
Tampax im Handschuhfach habe, ich brauche…«
»Nein! Laß mich nicht allein…!«
Jeanne löste sich aus Sue Anns Umklammerung. »Nur eine
Minute, ehrlich, ich blute wie ein Schwein, und auf den
Damentoiletten ist das Zeug meist aus… Ich warte damit, bis du
im Flugzeug sitzt,
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