Verirrte Herzen
dicke Tränen ihr Gesicht hinunter.
»Na gut, setz dich erst einmal hin. Ich koche uns einen Tee, und dann überlegen wir weiter.«
Während Anne zusammengekauert auf ihrem Stuhl saß, wirbelte Nadine um sie herum, suchte Tassen und Teebeutel und setzte den Wasserkocher in Gang.
Wenig später stellte sie einen dampfenden Becher Kräutertee vor Anne und nahm ihr gegenüber am Tisch Platz.
Anne wollte sich zusammenreißen und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Manchmal war sie einfach eine schreckliche Heulsuse. Dabei war sie doch selbst schuld an ihrer Misere. Sie hatte das alles verdient. Warum hatte sie sich denn nur nicht unter Kontrolle gehabt?
Der Tee wurde kalt, Anne nahm keinen einzigen Schluck. Sie starrte einfach vor sich hin.
»Dann lass uns die Sachen, die du für die nächsten Tage brauchst, zusammensuchen.« Nadine versuchte Anne auf die Beine zu bekommen, aber ihre Freundin hatte einfach keine Kraft, sich aufrecht zu halten und fiel zurück auf ihren Stuhl.
Nadine beschloss, es sei ratsamer, allein einen Koffer zu packen und verschwand im Schlafzimmer.
»Wo finde ich denn einen Koffer oder eine Reisetasche?« Nichts als Stille antwortete ihr. »Alles klar, ich habe sie schon gefunden.« Alles, was Nadine Anne zuordnen konnte, stopfte sie in die große Reisetasche und packte anschließend eine zweite mit Lillys Kleidern und Spielsachen. Den Rest konnte Anne später abholen. Für eine oder zwei Wochen war es genug.
Nadine stellte die Taschen vor Anne auf den Küchenboden.
»Ich bringe die jetzt in mein Auto, und dann hole ich dich.« Ihre feste Stimme ließ keinerlei Widerspruch zu.
Anne löste sich abrupt aus ihrer apathischen Starre, als sie hörte, wie Nadine die Haustür ins Schloss fallenließ. Sie musste Caro unbedingt eine Nachricht hinterlassen. Sie kramte einen Stift und ein Blatt Papier aus der Schublade.
Lilly und ich ziehen erst einmal zu Nadine. Bitte melde Dich, wenn Du wieder da bist. Wir müssen reden. Es tut mir alles so schrecklich leid. Ich will Dich nicht verlieren. In Liebe, Anne.
Es gab noch so viel mehr, was sie Caro sagen wollte, aber nicht auf einem Zettel, sondern persönlich. Sie wollte ihr dabei in die Augen sehen.
Anne verließ die Wohnung. Schweren Herzens drehte sie den Schlüssel im Schloss. Ihre Hände zitterten dabei so sehr, dass Nadine ihr helfen musste. Sie stieg in den Wagen, bekam aber von der Fahrt nichts mit. »Caro«, schluchzte sie unaufhörlich.
»Da sind wir.« Nadine öffnete schwungvoll die Tür zu ihrer Wohnung und wies Anne freundlich den Weg.
»Ich kenne deine Wohnung«, brummte Anne mürrisch zurück. Im selben Augenblick tat es ihr schon leid. Nadine konnte beim besten Willen nichts dafür, dass sie wütend auf sich selbst war. Es war nur niemand anders da, an dem sie es auslassen konnte.
Entschuldigend sah sie zu Nadine, die mit einem wissenden Schmunzeln antwortete. »Willst du deine Sachen gleich ins Gästezimmer bringen? Ich hole dir sofort Bettzeug, dann kannst du es dir gemütlich machen.«
Was würde sie nur ohne die Fürsorge ihrer besten Freundin machen? Sie schien immer zu wissen, was gerade richtig war und was Anne brauchte.
Anne verstaute ihre Sachen in dem geräumigen Zimmer. Die weiße Tapete hatte Nadine mit kleinen, gerahmten Kunstdrucken dekoriert. Außer einem Bett gab es noch einen Kleiderschrank und ein bequemes, jedoch etwas altmodisches Sofa. Lillys Kinderbett würde auch noch problemlos Platz finden. Glücklicherweise lag Nadines Wohnung nicht sehr weit von Caros entfernt, so dass sie weiterhin den Weg zur Arbeit und zum Kindergarten zu Fuß zurücklegen konnte. Anne war nicht gern abhängig von Bus und Bahn, und für ein Auto reichte ihr Gehalt nicht aus.
»Jetzt mache ich uns erst einmal eine Kleinigkeit zu essen. Was hältst du von Rührei? Du hast doch sicher den ganzen Tag noch nichts gehabt«, sagte Nadine und war bereits dabei, Eier aus dem Kühlschrank zu holen.
»Danke, dass du das alles für mich machst. Auch wenn ich es dir im Moment nicht so zeigen kann, ich weiß es sehr zu schätzen. Wir werden dir auch nicht allzulange auf die Nerven gehen.« Anne lächelte Nadine dankbar an.
Die erste Nacht ohne Caro war die Hölle für Anne.
Stundenlang saß sie zusammengekauert auf der Couch. Sie konnte sich nicht rühren, ihre Glieder waren schwer wie Blei. Nadine hatte angeboten bei ihr zu bleiben, aber Anne wollte lieber ihre Ruhe haben. Sie musste versuchen allein damit fertig zu werden, und sie
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