Verirrte Herzen
sich Anne wie von einer schweren Last befreit. Noras Reiz war verflogen. Sie hatte Nora endgültig aus ihrem Leben verbannt. Diesen Schritt, den sie unzählige Male unternehmen wollte, hatte sie endlich hinter sich gebracht, und es war nicht einmal schwer gewesen. Es hätte nur viel eher sein müssen. Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Anne auf.
»Wer war das?« wollte Lilly wissen, die neugierig ihre Ohren gespitzt hatte.
»Niemand, mein Schatz. Setz dich schon an den Tisch. Wir können gleich essen.« Das Thema war für Anne erledigt. Zu Nora gab es nichts mehr zu sagen.
Viel früher als gewöhnlich stand plötzlich Nadine in der Wohnung.
»Ist etwas passiert?« fragte Anne besorgt, als ihre Freundin sie in der Küche überraschte.
Aber Nadine lächelte sie vergnügt an. »Nein. Ich habe nur ein paar Überstunden genommen. Heute ist so ein wunderschöner Tag, da wollte ich nicht länger in der Bank stehen. Außerdem war heute nicht viel los, da meinte meine Chefin, ich könnte ruhig gehen«, flötete sie gutgelaunt.
»Dann kannst du ja mit uns essen«, sagte Anne, während sie einen dritten Teller aus dem Schrank holte.
Wenig begeistert vom Anblick der grünen Masse schüttelte Nadine den Kopf. »Nein lass mal, ich stehe nicht so auf Spinat.«
»Mama sagt, das ist gesund. Ich muss das auch immer essen«, stellte Lilly klar. Sie hätte auch lieber etwas anderes gegessen, aber sie hatte keine Wahl.
Anne grinste Nadine schulterzuckend an. »Es schmeckt wirklich lecker.«
Nadine warf ihrer besten Freundin einen bösen Blick zu, ehe sie resigniert aufgab.
»Wollen wir gleich auf den Spielplatz gehen und ein bisschen die Sonne genießen?« schlug Nadine vor, nachdem sie ihre Teller widerwillig leergegessen hatten.
Lilly strahlte begeistert, und auch Anne hatte nichts dagegen einzuwenden.
Arm in Arm schlenderten die beiden Frauen hinter Lilly her, die den Weg zum Spielplatz längst auswendig kannte und ihnen einige Schritte voraus war.
Das Wetter war tatsächlich ausgesprochen schön. Die Sonnenstrahlen, die alles in ein warmes Licht tauchten, kitzelten sie in ihren Nasen.
Plötzlich platzte Anne mit der Neuigkeit heraus, die sie nicht länger für sich behalten konnte. »Nora hat vorhin angerufen. Sie wollte mich wiedersehen«.
Nadine blieb abrupt stehen und sah Anne überrascht an. »Und was hast du gesagt?«
Ein glückliches Lachen machte sich in Annes Gesicht breit. »Dass wir uns nie wiedersehen werden und dass das mit uns keine Zukunft hat.«
Nadine drückte Anne fest an sich. »Ich bin stolz auf dich. Das war eine sehr gute Entscheidung.«
»Das finde ich auch. Und es war nicht einmal schwer.« Sie hielt einen Moment inne und senkte bedrückt den Kopf. Ihre Gesichtszüge verdunkelten sich. »Ich weiß einfach nicht mehr, was mich zu ihr hingezogen hat. Ich finde keine Erklärung dafür, warum ich mich auf sie eingelassen habe. Verdammt . . .« Ihre Stimme brach ab. Sie musste sich zusammenreißen, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Mit dem Fuß kickte sie einen Stein zur Seite. »Wie konnte ich nur meine Zukunft mit Caro so leichtfertig aufs Spiel setzen?«
Ein leiser Seufzer entfuhr Nadine. Sie sah Anne ernst an. »Weißt du, manchmal erkennt man erst, was einem wichtig ist, wenn man es verloren hat. Manchmal merkt man nicht, was einen wirklich glücklich macht, und dann ist es zu spät.«
Anne nickte. Viel zu spät hatte sie erkannt, was ihr wirklich wichtig war.
»Du musst versuchen noch einmal mit Caro zu reden. Es ist jetzt über vier Wochen her, dass sie dich rausgeschmissen hat. Sie hatte viel Zeit, um nachzudenken«, schlug Nadine vor.
Fast jeden Tag hatte Anne daran gedacht, Kontakt mit Caro aufzunehmen. Aber nachdem Caro sie so abgewiesen und keinerlei Interesse gezeigt hatte, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln, hatte sie es nicht mehr gewagt. Doch Nadine hatte recht. Möglicherweise stünden ihre Chancen jetzt besser. »Das werde ich machen. Vielleicht hört sie mir ja endlich zu.« Anne wollte nicht zu optimistisch sein. Noch eine Abfuhr könnte sie nur schwer ertragen.
Mittlerweile war Lilly aus ihrer Sichtweite verschwunden, und sie beeilten sich, die Kleine wieder einzuholen.
Als sie endlich vor die Tür trat, verschlug es Anne den Atem. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust. Sie bekam weiche Knie.
Sie war genauso schön, wie Anne sie in Erinnerung hatte. In einem eleganten, schwarzen Hosenanzug verließ Caro die Kanzlei, die blonden Haare wie immer streng
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