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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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ich in der Gastwirtschaft zum bescheidenen Preis von acht Kreuzern das gewohnte üppige Mahl aus sieben, reichlich mit Fleisch bestückten Gängen zu mir genommen, welches für zehn Männer (und zwanzig von meiner Statur) ausgereicht hätte, hier in Wien jedoch grundsätzlich an jedem Tag der Woche und jedem beliebigen Handwerker serviert wurde, während es in Rom nur für einen Kirchenfürsten erschwinglich gewesen wäre.
    Bis vor ein paar Monaten hätte ich mir nicht vorzustellen vermocht, dass mein Bauch sich derart füllen ließ.
    So aber half ich mir, wie jeden Tag, mit der wohltätigen Wirkung von Cloridias verdauungsfördernden Absuden, derweil ich schläfrig in meinen brandneuen Sessel aus hellgrüner Brokatelle sank.
    O ja, in diesem 1711. Jahr nach der Geburt Christi, unseres Erlösers, oder auch – wie der Crackauer Schreib-Calender ins Gedächtnis rief – 5660 Jahre nach der Erschaffung der Welt, 3707 Jahre nach dem ersten Osterfest, 2727 Jahre nach dem Bau des Tempels durch Salomon, 2302 Jahre nach der Babylonischen Gefangenschaft, 2463 Jahre nach der Gründung Roms durch Romulus, 1757 nach dem Beginn des Römischen Reiches unter Julius Cäsar, 1678 nach der Auferstehung Jesu Christi, 1641 nach der Zerstörung Jerusalems unter Titus Vespasianus, 1582 nach der Einführung der Fastenzeit von 40 Tagen und der Anordnung der Heiligen Kirchenväter, dass alle Christen müssten getauft sein, 1122 Jahre nach der Entstehung des Osmanischen Reiches, 919 Jahre nach der Krönung Karls des Großen, 612 nach der Eroberung Jerusalems durch Gottfried von Bouillon, 468 Jahre nachdem die teutsche Sprache statt der lateinischen in offiziellen Kanzleischriften gebraucht wurde, 340 Jahre nach der Erfindung der Büchse, 258 nach der Eroberung Konstantinopels durch die Ungläubigen, 278 nach der Erfindung des Buchdrucks dank des Ingeniums eines Johannes Gutenberg aus Mainz und 241 Jahre nach jener des Papiermachens durch Anton und Michael Gallician, 220 Jahre nachdem Christophorus Columbus aus Genua die Neue Welt entdeckte, 182 Jahre nach der ersten türkischen Belagerung Wiens und 28 nach der zweiten und letzten, 129 Jahre nach der Korrektur des Gregorianischen Kalenders, 54 nach der Erfindung der Perpendicular-Uhren, 61 nach der Geburt Clemens XL, unseres Papstes, 33 Jahre nach der Geburt Ihro Kaiserlicher Majestät Joseph I. und 6 nach seiner Besteigung des Kaiserthrons, nun, in ebendiesem glanzvollen Anno Domini, welches wir schrieben, besaßen Cloridia und ich endlich einen Sessel, ja sogar deren zwei.

    Sie waren uns nicht von einer mitleidigen Seele geschenkt worden, wir hatten sie mit den Erträgen unseres kleinen Familienbetriebs selbst gekauft und genossen ihrer in unserer Unterkunft im Augustinerinnenkloster, wo wir weiterhin wohnten, bis die Aufstockungsarbeiten unseres Hauses in der Josephina beendet sein würden.
    An diesem Tag, dem ersten Donnerstag nach Ostern, waren seit unserer Ankunft in der Kaiserlichen Hauptstadt fast zwei Monate vergangen, und in unserem Leben gab es nunmehr keine Spur der Hungersnot mehr, die uns in Rom so heftig zugesetzt hatte.

    All das dank meiner Arbeit als Schornsteinfeger oder, genauer, als Hofbefreiter Rauchfangkehrer, wie man hierzulande sagt, wo auch das niedrige Volk nicht darauf verzichtet, sich mit großen und kleinen Titeln aller Art zu schmücken. Was in Italien, wie ich schon sagte, als eines der gemeinsten und schmachvollsten Gewerbe galt, wurde hier im Erz-Herzogtum Österreich ob und unter der Enns als eine Kunst geschätzt und erfreute sich allerhöchster Anerkennung. Wurden wir dort als Unglücksbringer angesehen, wetteiferte hier auf der Straße alles darum, unser Dienstgewand berühren zu dürfen, weil es, so sagte man, Glück bringe.
    Das war nicht alles: Durch die Tätigkeit als Schornsteinfegermeister erwarb man einen hochachtbaren gesellschaftlichen Stand und beneidenswerte wirtschaftliche Erträge. Und so könnte ich wohl sagen, dass ich keine andere Arbeit auf dieser Welt kannte, die, je nach dem Lande, wo sie ausgeübt, geschätzter oder verachteter wäre.
    Hier sah man keine zerlumpten Schornsteinfeger, die von Stadt zu Stadt zogen, um ein bisschen Arbeit und eine warme Suppe zu erbetteln. Keine Ausbeutung kleiner Kinder, die den ärmsten Familien entrissen wurden; kein fam , füm , frecc , also «Hunger, Rauch, Kälte», die drei schwarzen Condottieri, mit denen man jenes unglückselige Gewerbe in den armen Alpentälern Norditaliens kennzeichnete.
    Nein,

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