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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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man musste diese Täler nur eben hinter sich lassen und hier in die Kaiserstadt gelangen, um alles in sein Gegenteil verkehrt vorzufinden: In Wien gab es ausschließlich ortsansässige Schornsteinfeger mit ordentlichem Schutzpatent, Mitgliedschaft in der Innung, festen Tarifen (zwölf Pfennig für eine gewöhnliche Säuberung), genau geregelten Dienstgraden (Meister, Geselle und Lehrjunge) und einem Haus mit Werkstatt, oft sogar, wie auch in meinem Fall, mit dazugehörigem Hof und Weingarten.
    Und zu meiner großen Überraschung waren die Wiener Schornsteinfeger allesamt Italiener.

    Die ersten waren vor zwei Jahrhunderten gekommen, zusammen mit Baumeistern, welche die Errungenschaften der Italiener in der Baukunst in Wien verbreiteten. Die immer dichtere Bebauung führte freilich zu einer steigenden Anzahl von Bränden, sodass Kaiser Maximilian I. beschloss, die Schornsteinfeger in Wien fest anzustellen. Im Stammhaus unserer Zunft hing noch ein Dokument aus dem Jahre 1512 an der Wand, das geradezu wie eine Reliquie verehrt wurde: der Befehl des Kaisers, einen gewissen «Hans von Maylanth», Giovanni aus Mailand, den ersten unserer Zunftgenossen, als Schornsteinfeger einzustellen.
    Anderthalb Jahrhunderte später hatten wir uns in der Hauptstadt einen so festen Platz erobert, dass uns zur Ausübung des Gewerbes ein regelrechtes Schutzpatent mit kaiserlicher Erlaubnis verliehen wurde. Da wir Italiener die Kunst des Kaminkehrens im Reich eingeführt hatten, setzten wir seit zweihundert Jahren alles daran, dass sie für immer in unseren Händen blieb. Martini, Minetti, Sonvico, Perfetta, Martinolli, Imini, Zoppo, Toscano, Tondu, Monfrina, Bistorta, Frizzi, De Zuri, Gatton, Ceschetti, Alberini, Cecola, Codelli, Garabano, Sartori, Zimara, Vicari, Fasati, Ferrari, Toschini, Senestrei, Nicoladoni, Mazzi, Bullone, Polloni – das waren die Namen, die in den Betrieben der Rauchfangkehrer immer wieder auftauchten: alles Italiener, alle miteinander verwandt. So war das Gewerbe des Schornsteinfegers sogar zum vererbten Recht geworden; es ging vom Vater auf den Sohn, vom Schwiegervater auf den Schwiegersohn oder den nächsten Verwandten über und wurde, wenn es an Verwandten fehlte, dem zweiten Ehemann der Witwe übertragen. Ja, es konnte sogar verkauft werden. Dieses sehr seltene und lukrative Gut kostete nicht weniger als zweitausend Gulden, eine Summe, die nur sehr wenige Handwerker aufbringen konnten. Kein Tag verging, ohne dass ich voll Dankbarkeit an die großzügige Geste des Abbé Melani dachte.
    Wenn meine Landsleute, die Schornsteinfeger auf der italienischen Halbinsel, wüssten, in welcher Hölle sie lebten und welches Paradies sich direkt hinter den Alpen befand!

    Ich verdiente mehr als genug. Jedem von uns Rauchfangkehrern wurde ein Stadtviertel oder ein Vorort zugewiesen. Ich für meinen Teil hatte das Glück gehabt, jenes Gewerbe zu erhalten, das zuständig war für den Bezirk der Josephina, oder auch Josephstadt, nach dem Namen unseres Kaisers. Dieses Viertel, wo bescheidene Handwerker wohnten, lag sehr nah bei der inneren Stadt, umfasste jedoch auch einige Sommerresidenzen des Hochadels, welche mir in einem Monat mehr einbrachten, als ich in meiner Heimat seit meiner Geburt je verdient hatte.
    Da ich Italiener war, hatte Abbé Melani kaum Schwierigkeiten gehabt, einen Betrieb für mich zu finden. Und mit Geld hatte er ohnehin alles erreicht. Er hatte nur die erforderlichen Papiere fälschen müssen – Geburtsurkunde, Curriculum et coetera – , damit die Innung der Rauchfangkehrer nicht bei Hofe protestierte. Als ich mich meinen Zunftgenossen vorstellte, hatten sie mich, um die Wahrheit zu sagen, recht kühl empfangen, und ich konnte es ihnen nicht verdenken: Meine Ernennung zum «Hofbefreiten» Rauchfangkehrer wurde mir von meinen Kollegen verübelt, hatten sie sich doch im Schweiße ihres Angesichts erarbeiten müssen, was mir auf dem Silbertablett überreicht worden war. Außerdem misstrauten sie mir, weil niemand je gehört hatte, dass es Schornsteinfeger in Rom gab. Meine Zunftbrüder stammten nämlich alle aus den Alpentälern oder sogar aus dem Tessin und Graubünden. Bei meinen ersten Kaminreinigungen hatten sie mich begleitet, um sich zu vergewissern, dass ich meine Arbeit ordentlich auszuführen wusste. Attos Geld vermochte vieles in Wien, gewiss, aber einen Dilettanten zum Schornsteinfeger machen, der eines Tages vielleicht sogar die Stadt in Brand gesetzt hätte, konnte es sicherlich nicht.

    Und so

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