Veritas
ganze Welt aus den Angeln zu heben vermögen, trieben das Fliegende Schiff immer höher, höher und noch höher. Mein Kleiner blickte von unten fassungslos zu uns herauf: War es möglich, dass sein Papa in den Himmel floh?
«Simonis, ich … ich habe das Schiff schon damals unter mir erbeben gefühlt, als ich das erste Mal hineingeklettert bin, um Mustafa zu entkommen, aber ich wollte es nicht glauben!», rief ich meinem Gehilfen zu, als könnten diese Worte das Wunder erklären.
Während wir aufstiegen, schien die Loggia des Ortes Ohne Namen unter uns zu versinken, aber wir waren es, die sich erhoben, und jetzt lachte mein Kleiner und schrie und weinte. Nach einigen Ausrufen des Schreckens schwieg Simonis. Ich blickte nach unten, schätzte den tödlichen Fall ab, der uns binnen kurzem erwartete, und betete.
Aber wir fielen nicht. Wie eine junge Biene, die es nach Honig gelüstet, stiegen wir auf; wir hatten bereits die zweifache Höhe der Dachterrasse des Neugebäus erreicht und wähnten uns das höchste Ding in der ganzen Schöpfung, höher als die Hügel, die Berge, vielleicht sogar die Wolken. Während das Holz des alten Gefährts unter unseren Füßen knirschte, leicht und trocken wie ein Sepiaknochen, begann sich mir der Kopf zu drehen, und Staunen und Angst drückten mir die Kehle zu. Ich hielt die Hände zum Gebet gefaltet, denn Deus caritas est (davon gibt uns der Herr mit seinen Wundern einen wahrlich überwältigenden Begriff!); und wenn Gott aufgrund ebenjener Caritas die Welt erschuf, dann wollten diese uralten Kräfte, die uns mit ihrer entfesselten Macht den Rausch des Fliegens schenkten, uns vielleicht einige Augenblicke lang von der Übermacht der Materie befreien, um uns zu belehren und schließlich in ihrer liebenden Hingabe aufzunehmen.
«Herr Meister, wir … wir fliegen! Wie ein Vogel, nein, wie ein Engel», rief Simonis endlich mit erstickter Stimme, sich unablässig bekreuzigend.
Während der Wind meine Haare peitschte, bewunderte ich den Anblick der endlosen Simmeringer Haide, und wie auf dem Zeichentisch eines Baumeisters sah ich in der Ferne die Ansichten der Vorstadt Wieden, die Donau, die Leopoldinsel, sogar die Josephstadt mit ihren unsichtbaren Bewohnern hervortreten, und ich jubelte und weinte gleichzeitig vor Angst und Wahnsinn – derselbe Geisteszustand vielleicht, der einen im Hochgebirge befällt, wo die Luft zu dünn ist.
Zwischen zwei Gebeten murmelte ich jene berühmten Verse des göttlichen Poeten, die von einem magischen Luftschiff handeln: Ich tat es für Cloridia und unsere Kinder. Und während ich sah, wie die Gärten des Ortes Ohne Namen klein wie Beete wurden, die Türme zu Bauklötzen schrumpften, die großen Fischteiche zu kläglichen Pfützen vertrockneten und Froschs Löwen Mäuslein glichen, flehte ich den Dichter um Schutz an und rezitierte leise:
Guido , mit dir und Lapo möchte ich ,
Daß wir entführt durch einen Zauber wären
In einer Barke , die auf fernen Meeren
Nach Wunsch uns trüge , wie der Wind auch strich’ .
Nicht Sturm und böses Wetter dürfte sich
Erheben , um die Fahrt uns zu erschweren ,
So daß uns immer wüchse das Begehren ,
Zusammen so zu sein einmütiglich .
Und dann sah ich die Wolken unter uns sinken, und auch ich wünschte mir, wie Vater Dante, meine Gemahlin und unsere Kinder wären bei mir und wir könnten für immer hierbleiben …
… Dann sprächen immer wir von süßem Lieben .
«Schaut, Herr Meister, seht nur die Stadt!»
Die Kaiserliche Urbe, ihre Bollwerke, ihre Wehr- und Glockentürme, die Fiale des Stephansdoms – sogar aus dieser Entfernung schien sich alles auf den Erdboden zu werfen und zu unserem Sklaven zu machen. Simonis war kreideweiß und schien hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, über den Schiffsrand zu schauen, um das Panorama zu betrachten, und dem instinktiven Bedürfnis, sich in die Mitte zu kauern, um nicht herauszufallen.
Plötzlich stieg das Schiff nicht weiter in die Höhe.
«Vielleicht werden wir jetzt sinken», stammelte ich mit heiserer Stimme und klammerte mich verzweifelt an den Sitz.
Ich irrte. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, spürte ich den kalten Luftstrom von vorne kommen. Das Fliegende Schiff fuhr nun, wie ein Seemann es ausgedrückt hätte, mit voller Kraft voraus.
«Es fährt auf Wien zu!», rief ich aus, zwischen Entsetzen und Begeisterung schwankend.
Während Äcker, Landhäuser und Weinberge unter uns vorbeizogen, gewahrte ich, dass ich am ganzen
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