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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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törichten Studenten – wenn er denn einer war. Auch mir war es erschienen, oder besser gesagt, ich hatte gefühlt , dass das Fliegende Schiff sich wegen unseres Wunsches, ihm das Geheimnis des Goldenen Apfels zu entreißen und dessen endgültiges Schicksal zu überwachen, in die Lüfte erhoben hatte. Es war, als hätte unser Verlangen einen geheimnisvollen Mechanismus, eine uralte Kraft in Gang gesetzt, die wer weiß wo nistete und nur darauf wartete, geweckt zu werden, allerdings zu einem bestimmten Zweck: Denn war der Goldene Apfel nach Ugonios Erzählung nicht der Grund, warum dieses Schiff erbaut worden war?
    Das Geheimnis des Goldenen Apfels zu ergründen würde wahrscheinlich auch zur Lösung vieler anderer Fragen beitragen: der Ausgang des Krieges, das Schicksal des Kaisers und damit auch Europas und der Welt. Wollte uns das Fliegende Schiff vielleicht darüber etwas sagen? Ich war überwältigt. «Oh, majestätisches Segelschiff des himmlischen Äthers», sagte ich leise mit gefalteten Händen, während der eiskalte Wind mir über Stirn und Hals fegte, «ich weiß nicht, ob ich lebend aus deinem Bauch herauskommen werde. Aber wenn es so sein wird und du wirklich wünschst, was wir wünschen, gebrauche deine Macht richtig und sei für uns die Arche der Wahrheit, der Erlösung und der Gerechtigkeit. Mach, dass der Goldene Apfel uns aus dem Labyrinth führt, in dem wir uns befinden.»
    Wir flogen nun durch das Stück Himmel über der Donauschleife. Ich entdeckte den Prater (und mit einem Stich im Herzen dachte ich an das in den Schnee gequetschte, bläuliche Gesicht Hristos) und die Reihe schlammiger Inseln mit kuriosen Namen, zwischen denen der Fluss sich dahinschlängelt: der Grabstein, der Durchlauff, der Jäger Hauffen, In der Alten Stube, Die Tabor Au und schließlich Die Schütt, unweit von jenem Weg im Prater, wo mein Leben durch ein bulgarisches Schachbrett gerettet worden war.
    Simonis und ich machten uns gegenseitig auf Orte und Viertel der Stadt aufmerksam, und als beugten wir uns über einen gezeichneten Stadtplan, wetteiferten wir darum, wer hier das Himmelpfortkloster, dort mein Haus in der Josephstadt, die Mauern der Kaiserlichen Residenz, dieses oder jenes Außenwerk der Stadtmauern, die Eingangstore Wiens, die Gärten und Villen der Vorstädte, die große Ebene des Glacis oder das kleine Dörfchen Spittelberg erkannte. Klar und deutlich unterschied man sogar das weit entfernte Tor Mariahilfe im Linienwall und die Straße nach Hietzing. Die große Mauer des Linienwalls war so gut zu erkennen, dass man sie wohl auch aus weit größerer Entfernung gesehen hätte, sagte Simonis, vielleicht sogar vom Mond aus.
    «Oh, Arche der Erlösung und der Gerechtigkeit», sprach ich mit Tränen in den Augen, während ich jeden einzelnen der Gärten von Lichtenthal, die Villen von Rossau und das Währinger Tor betrachtete, «oh, Arche der Wahrheit, wenn du diesen Namen verdienst: Welcher meiner geringen Verdienste hat dich überzeugt, gerade mich für dieses Wunder auszuersehen? Haben meine Schwächen dich nicht abgeschreckt?» Und während warme Zähren mir über die Wangen liefen, lächelte ich Simonis an, und auch er weinte und lächelte mir zu, und nicht einmal sein dümmliches Gesicht, seine krummgeschnittenen Stirnfransen und die vorstehenden Zähne konnten seine Erschütterung verbergen. Gerne wären wir vor einem Gott der Luft niedergekniet, doch hier standen wir nur vor einem Mysterium.

    «Herr Meister, und wenn uns von unten jemand sieht?»
    «Dann stecken sie uns ins Zuchthaus wie den Menschen, der das Schiff aus Portugal hierhergebracht hat. Wenn uns wirklich jemand sieht, können wir nur hoffen, er hält uns für einen Entenschwarm oder meint, er habe sich verguckt.»
    «Wenn sie uns für Enten halten, werden sie auf uns schießen. Entenragout ist sehr beliebt in Wien», sagte Simonis mit angespanntem Lächeln.
    Dann rief er aus:
    «Seht nur, Herr Meister, eine Wolke kommt auf uns zu!»
    Unwillkürlich verbargen wir das Gesicht in den Händen, als könnte dieser duftige Wattebausch uns irgendein Leid zufügen. Natürlich geschah nichts, außer dass wir in die unwirkliche Weiße des Gewölks eintauchten.
    In Rom ist der Himmel golden und blau wie Lapislazuli, duftig gewölbt, und die Wolken stehen immer sehr hoch. In Wien hingegen drücken Licht und Farbe des Äthers Schlichtheit, Gradlinigkeit und Liebe zum Edlen aus: alles Eigenschaften dieses Volkes. Die Wolken ziehen fast immer tief, das

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