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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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kommt sie aus Brüssel, Holland und allen Niederlanden, aus England und Spanien nur einmal alle zwei Wochen; dann jene aus Frankreich, Köln, Frankfurt, Würtzburg, Nürnberg, München, Augsburg, Inspruch, Trient, Mantua, Florenz, Rom, Mailand und Turin, desgleichen aus Salzburg, Passau und Lintz. Am Erchtag kommt sie morgens aus Prag, Dresden, Leipzig, Hamburg, Niedersachsen, Hildesheim, Braunschweig, Hannover und Halberstadt; dann aus Edenburg, Warasdin, Agram und aus Kroatien. Mit dieser Post reisen auch die Effecten und die Peterwardeiner Briefe. Am Nachmittag kommen die Ordinarii aus Gratz, Clagenfurth und Villach sowie aus Ungarn und Siebenbürgen an. Am Freitag bei Sonnenaufgang ist es wie am Montagmorgen, hinzu kommt nur Kroatien; des Abends kommen dann, ebenso wie am Montag, die Briefe aus den Städten des Reiches, außer Salzburg, Inspruch und Trient. Zusätzlich noch jene aus Prag, Ungarn und Siebenbürgen, wie am Erchtag. Na, was sagst du dazu? Nicht schlecht für einen Fünfundachtzigjährigen, was?», schloss er mit einem gezwungenen Lächeln.
    Er wollte mich mit seinem Gedächtnis beeindrucken, der alte Abbé; einer Gabe, die in Frankreich niemand mehr zu schätzen wusste. Ich antwortete mit Worten der Bewunderung, die für mein Gegenüber gleichwohl misstönend klingen mussten, da er noch trübsinniger wurde als zuvor.
    «Signor Atto, ich wollte wirklich …», versuchte ich ihn aufzumuntern, nach tröstenden Sätzen suchend, die mir freilich nicht über die Lippen kamen.
    Melani gebot mir mit einer traurigen Gebärde Einhalt, als wollte er sagen: «Lass gut sein.» Wir schritten eine Weile schweigend voran, einer am Arm des anderen.

    «Jetzt, wo auch der Dauphin in Lebensgefahr schwebt, ist alles klarer», hub er endlich wieder an. «Etwas oder jemand intrigiert sowohl gegen Frankreich als auch gegen Österreich. Etwas oder jemand, der über allem steht, da der Sonnenkönig und Joseph der Sieghafte Todfeinde in dem Krieg sind, der Europa gegenwärtig verwüstet.»
    «Ihr bezweifelt also, dass der Dauphin wirklich an den Blattern erkrankt ist?»
    «Und du glaubst, dass der Kaiser es ist?», fragte er mich mit bitterem Sarkasmus.
    Mehr gab es nicht zu sagen. Jetzt, wo auch der Grand Dauphin krank daniederlag, enthüllte Atto, was er wirklich dachte: Auch er hatte nie geglaubt, dass Joseph der Sieghafte die Pocken habe.
    «Gift als einen ansteckenden Morbus erscheinen zu lassen, ist ein Kinderspiel. Nicht nur der Leibarzt bei Hofe, Monsieur Fagon, auch kein anderer unter den Ärzten der Königlichen Familie hat die geringste Erfahrung mit dieser Art von Krankheit», erklärte Atto. «Denn kaum wird ein Haus entdeckt, wo Variola oder ein anderes Kontagium herrscht, ist es den Medizi verboten, sich den Kranken nur zu nähern, damit kein Mitglied der Königlichen Familie sich ansteckt. In solchen Fällen würde der gesunde Menschenverstand verlangen, dass man just jene Pariser Medizi konsultiert, die täglich mit dergleichen Übeln zu tun haben.»
    «Vielleicht haben sie das getan.»
    «Das tun sie nie», sagte er mit einem bedeutungsvollen Lächeln.
    «Dann könnte hier am Kaiserlichen Hof dasselbe geschehen sein!» Entsetzt riss ich die Augen auf. «Die Ärzte des Kaisers könnten ebenso wenig von den Blattern wissen wie jene des Grand Dauphin.»
    Ich hatte sofort vermutet, dass sich hinter der Krankheit Josephs I. das unheilvolle Werk eines Giftes verbergen könnte, doch diesen Verdacht nun durch Attos eigene Worte bestätigt zu finden, ließ mich erschauern.
    Jetzt konnte ich die Kolik, welche den armen Abbé vor zwei Tagen überfallen hatte, gut verstehen. Von wegen Schokolade der Madame Konnetabel! Das Unwohlsein verdankte sich der Nachricht von der Erkrankung des Kaisers: Der alte, lebenserfahrene Spion hatte sofort erkannt, dass böse, nicht näher bezeichnete Kräfte im Spiel waren und dass Frankreich, da es nicht zu ihnen gehörte, derselben Gefahr ausgesetzt war. Bei gewissen Spielen, das hatte sogar ich gelernt, muss man zu den Tätern gehören, wenn man sich nicht als Opfer wiederfinden will.
    «Junge», flüsterte er, indem er plötzlich innehielt und mich an der Schulter packte, «fast wäre es mir allein gelungen, einen europäischen Krieg zu beenden, der seit elf Jahren währt! Eine gutorganisierte Gruppe Verschwörer kann weit mehr erreichen, und zwar mühelos.»
    «Die Türken!», rief ich aus und erzählte Atto von den Umtrieben des Derwischs mit Ugonio.
    «Ugonio?», fuhr Atto

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