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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Totenschädel, als wäre Atto bereits eine Leiche.
    Die Haut von aschfahler Blässe, der Mund halb geöffnet, die Zähne wegen der hohlen Wangen fast vorstehend, Lippen und Augenhöhlen bläulich. Frankreich drohte seinen ersten Thronfolger zu verlieren, und wer weiß, wen noch nach diesem. Vielleicht würde es sogar so enden wie Spanien, das jetzt von denen zerrissen wurde, die sich seine Überreste streitig machten … Alle erdenklichen Befürchtungen sah ich auf seiner gelben, pergamentenen Stirn vorüberziehen, die durch die sorgfältig aufgetragene Bleiweißschicht hindurchschimmerte.
    Jetzt fiel mein Verdachtskonstrukt gegen ihn wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Atto vergiftete niemanden, und wenn er nur zufällig gleichzeitig mit der Ambassade des Türkischen Agas in die Stadt gekommen war, gründete all mein Argwohn gegen ihn auf nichts … Wer oder was auch immer die dunkle Macht war, die jetzt über Leben und Tod in Wien und in Versailles entschied, es geschah gewiss nicht durch Abbé Melani.
    Cloridia sah mich mit ernster Miene an und streichelte meine Hand: Sie erriet meine Gedanken. Melani bat mich, mit ihm das Lokal zu verlassen. Meine Gattin nickte; sie würde uns in der Himmelpforte erwarten.
    Der Abbé und ich machten ein paar Schritte zum nahen Fleischmarkt. Die Straße war voller Menschen, manchmal fuhr eine Kutsche vorüber: Es genügte, ein wenig die Stimme zu senken, um von den Passanten nicht gehört zu werden.
    Er schwieg. Ich beobachtete, wie er sich auf mich gestützt mühsam voranschleppte, als müsste er nach Luft ringen. Am raschen Pulsieren seines verwelkten Halses erkannte ich, dass sein Herz schnell schlug und ihm den Atem nahm. Ich fürchtete ein erneutes Unwohlsein.
    «Signor Atto, vielleicht sollten wir lieber zum Kloster zurückkehren.»
    Er hielt an. Mit der zitternden Hand rieb er sich die halbgeschlossenen Lider hinter den schwarzen Augengläsern, als erwachte er aus einem bösen Traum. Dann reckte er den krummen Rücken und tat einen langen Seufzer. Jetzt war seine Stirn gerunzelt, doch er schien wieder zu Kräften gekommen zu sein.
    «Vor langer Zeit», sagte er mit einem dunklen Klang in der Stimme, «erklärte ich dir einmal, dass es zwei Arten von gefälschten Dokumenten gibt. Erstere, die wirklichen Fälschungen, sind schlicht und einfach Lügen, nichts weiter. Die anderen sind Fälschungen, welche die Wahrheit sagen.»
    «Ich erinnere mich, Signor Atto», nickte ich. Wollte er etwa sagen, das Fliegende Blatt mit den Nachrichten aus Paris könnte eine Fälschung sein?
    «Die Fälschungen, welche die Wahrheit sagen, werden in bester Absicht verfasst: Sie sollen, wenn auch in Ermangelung echter Beweise, eine wahre Nachricht verbreiten. Die Fälschungen der ersten Art hingegen sind reine Lügen. Es ist jedoch nicht gesagt, dass nicht auch sie für einen guten Zweck verfasst wurden.»
    Diese doppelsinnige Rede überraschte mich. Worauf wollte Abbé Melani hinaus?
    «Nun», sagte er, «in den vergangenen Tagen bist du just auf ein Dokument der ersten Art gestoßen.»
    Ich zuckte zusammen.
    «Eine Fälschung, die jedoch mit lobenswerten Absichten verfasst wurde», erläuterte er, «um des Friedens willen.»
    Bei diesem Zusatz blieb mir der Mund offen stehen. Ich begann zu begreifen.
    «Ich hatte es dir niemals sagen wollen, verflucht», zischte er ärgerlich und stieß mit der Spitze seines Stocks auf das Straßenpflaster.
    «Der Brief, aus welchem hervorgeht, dass Eugen das Reich verraten wollte … also jener Brief, der im Mittelpunkt Eurer Mission steht. Er ist gefälscht, ja?», fragte ich. Vor ungläubigem Staunen wollte mir schier die Stimme brechen.
    «Lass es mich erklären, Junge», sagte er und drückte meinen Arm ein wenig stärker.

    Der größte Teil der Geschichte, die Atto mir erzählt hatte, war die reine Wahrheit. Tatsächlich hatte sich zu Beginn des Jahres ein anonymer Offizier an den spanischen Hof in Madrid begeben, wo Philipp von Anjou, der Enkel Ludwigs XIV., regierte. Und tatsächlich hatte der Offizier, bevor er auf Nimmerwiedersehen verschwand, Philipp jenen Brief aushändigen können, in welchem man lesen konnte, dass Eugen von Savoyen bereit war, sich für eine ansehnliche Gegenleistung an den französischen Feind zu verkaufen. Und es stimmte auch, dass der junge Katholische König von Spanien wie vom Donner gerührt war, nachdem er diese Zeilen gelesen hatte.
    Doch nun erzählte mir Atto, wie die Geschichte weiterging. Philipp hatte eine Kopie des

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