Veritas
geheime Machenschaften zugunsten Frankreichs greifen können (ja, ich selbst war deren ahnungsloses Werkzeug gewesen) und war mitten hineingezogen worden in die anrüchige Mischung aus Liebschaften, Politik und Spionage, die Maria Mancini, Atto und den Allerchristlichsten König verband. Schon damals hatte ich gesehen, mit welcher Unbefangenheit Atto und seine Freunde sich der Kunst der Fälschung bedienten. Und als Atto gestern mit Cloridia über die Tasse verdorbener Schokolade sprach, die sein Unwohlsein verursacht hatte, hatte er durchblicken lassen, dass er mit Maria Mancini noch immer in Verbindung stand.
Ironie des Schicksals. Vor elf Jahren waren die drei – der Abbé, Madame Konnetabel und der Kalligraph – Urheber einer Fälschung gewesen. Das von ihnen gefälschte Testament des spanischen Königs wurde zum Funken an der Zündschnur des Krieges.
Jetzt wollten die nämlichen drei Personen jenen kolossalen Irrtum wiedergutmachen, und nichts Besseres war ihnen eingefallen, als Schritt für Schritt das Gleiche zu tun: eine zweite Fälschung, Eugens Brief, herzustellen und diesen nach Spanien zu bringen, um dem Krieg ein Ende zu bereiten, der Europa verwüstete und, schlimmer noch, Frankreich wider Erwarten in die Knie gezwungen hatte.
Doch dieses Mal waren sie gescheitert: Die brennende Zündschnur hatte sich nicht löschen lassen; der Lauf der Ereignisse, die mittlerweile in einem apokalyptischen Galopp voranstürmten, hatte sich kein zweites Mal zügeln lassen. So hatte der alte, hinfällige Kastrat seine müden Glieder aufraffen und persönlich nach Wien reisen müssen, um dem Kaiser eine Kopie des gefälschten Briefes zukommen zu lassen, in der Hoffnung, damit einen Skandal auszulösen, der Eugen, den Feind des Friedens, entmachtete.
«Die großen Minister von einst, meine Freunde, sind alle tot, auch jene, die viel jünger waren als ich», erklärte er bitter, um mir darzulegen, dass am Hof niemand mehr auf ihn hörte. «Männer wie Pomponne, Chamillart, de Lionne, Le Tellier gibt es nicht mehr. Ja, mit ihnen hatte ich vertrauten Umgang. Geblieben ist dieser misstrauische Torcy, nicht zufällig ein Sohn von Colbert, der Schlange. Durch Torcy kann ich dem König nicht einmal ein kleines Billett zukommen lassen, ganz zu schweigen von Memoranden, wie sie der Allerchristlichste König sein Leben lang von mir bekommen hat. Wer heute etwas für das Wohl Frankreichs bewirken will, muss sich auf sich selbst verlassen. Und das habe ich getan, Junge. Ist der Ruf des Savoyers deiner Meinung nach mehr wert als der Friede?»
Die Frage war rhetorisch, und ich antwortete nicht. Etwas ganz anderes brachte mich zum Grübeln.
Ehedem war immer ich es gewesen, der (freilich stets zu spät) Attos Lügen und das heimliche Spiel entdeckt hatte, das er mit meiner Hilfe trieb.
Dies war das erste Mal in unserer dreißigjährigen Bekanntschaft, dass ich die Ehre hatte, aus Melanis eigenem Munde ein Geständnis seiner Machinationen zu hören. Ein Zeichen, dass die Zeiten sich geändert hatten, dachte ich, und dass der alte Abbé nicht mehr so recht in diese neue Epoche gehörte. Er war der einzige Überlebende einer untergegangenen Ära, und seine Langlebigkeit hatte ihn, statt ihm Ruhe und den Lohn seiner Mühen zu bringen, dazu verurteilt, aus dem bitteren Kelch der Niederlage und des Vergessenwerdens zu trinken.
Schlimmer noch, das Fatum trieb sogar sein böses Spiel mit ihm. Kaum vierundzwanzig Stunden bevor er ahnungslos durch die Mauern Wiens trat, waren die Türken angekommen, und der Kaiser war erkrankt. Zufall? Nein: Eine höhnische Grimasse des Schicksals war es gewesen. Die neuen Zeiten wollten ihn nicht mehr. Ob es Atto gab oder nicht, machte heute keinen Unterschied mehr. Im großen Fresko der Welt war nirgendwo mehr ein Porträt des Abbés zu finden.
Mitleidig betrachtete ich den armen Alten. Er wandte mir das Gesicht zu, und ich meinte, verletzten Stolz zu erkennen, als hätten seine blinden Augen mein Mitleid erahnt.
«Und dabei habe ich all die verfluchten Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Ordentlichen Wiener Post auswendig gelernt! Einen ganzen Monat lang habe ich gebraucht, um meinen Spruch fehlerlos aufsagen zu können, weil ich fürchtete, an der Grenze angehalten und ausgefragt zu werden», jammerte Atto.
«Am Montagmorgen kommt die ordentliche Post aus Berlin, Breslau, Neuß, Glatz, Ollmütz und Brunn, außerdem aus Polen», gab er überraschend mit kreischender Stimme zum Besten. «Des Abends
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