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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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türkischen Blut gemein, zumal ihnen auch der Zölibat auferlegt war, sie also keine Nachkommen zeugten. Jahr für Jahr wurden die ausscheidenden Alten durch neue geraubte Kinder ersetzt. Im Osmanischen Reich angekommen, wurden diese Knaben sorgfältig auf ihre Physiognomie untersucht: Je nach den Neigungen, die dieser oder jener Gesichtszug verriet, erzog man sie dann zu Dienern im Privatpalast des Sultans, zu Arbeitern in der Verwaltung oder zu Janitscharen in der Armee.
    «Die höchsten Würdenträger, die dem Sultan am nächsten standen, waren aber doch wohl Türken», wandte ich ein.
    «Im Gegenteil. Der Großwesir, also der Erste Minister, welcher nur dem Sultan untersteht, ist fast nie ein Türke und auch kein Muselmann gewesen. Von den siebenundvierzig Großwesiren, die in der Hohen Pforte zwischen 1453 und 1623 aufeinanderfolgten, waren nur fünf türkischer Herkunft. Von den anderen waren elf Albaner, sechs Griechen, einer Tscherkesse, einer Armenier, einer Georgier, zehn Chaldäer und sogar einer Italiener. Auch Ibrahim Pascha, der berühmte Großwesir Süleymans des Prächtigen, war kein Türke, sondern Venezianer.»
    «Wie bitte, Venezianer?»
    «Gewiss! Er war auf dem Gebiet der Republik Venedig geboren. Darum sage ich dir: Die zerstörerische Macht Mohammeds existiert in Wirklichkeit gar nicht, sie ist eine Schöpfung des Westens, gegen den Westen selbst gerichtet.»
    Diese Worte machten mich nachdenklich: Attos Erklärungen stimmten mit dem überein, was mir Simonis über Maximilian und seinen Kampf gegen Süleyman den Prächtigen berichtet hatte. Das Feuer der osmanischen Aggressionen gegen den Kaiser, so mein Gehilfe, hatten die protestantischen Fürsten und ihre geheimen Unterhändler, Ilsung, Ungnad und Hag, entzündet. Nach ihrem vergeblichen Versuch, Maximilian zum Luthertum zu bekehren, hatten sie sich gerächt, indem sie die türkischen Armeen auf ihn hetzten.
    «Aber die Geldgeber von Süleymans Belagerung Wiens im Jahre 1529 saßen in Konstantinopel», wandte ich ein.
    «Was glaubst du wohl, woher sie kamen, wenn nicht aus Europa? Kaufmannsfamilien, die gerade wegen der größeren Freiheit für ihre Handelsgeschäfte nach Konstantinopel gezogen waren. Es hat niemals Türken gegeben, die so reich waren, dass sie bereit gewesen wären, sich wirtschaftlich zu ruinieren, nur um des Vergnügens willen, den Sultan gegen das Heilige Römische Reich kämpfen zu sehen.»
    Ich staunte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich unter den türkischen Turbanen, dem Erkennungszeichen der Anhänger Mohammeds, mehr Europäer als Türken versteckten.
    «Mit Joseph und dem Grand Dauphin», kehrte Atto zu unserem Ausgangspunkt zurück, «stehen wir vor zwei Mordversuchen, bei denen die Opfer glücklicherweise noch am Leben sind. Um zur Lösung zu gelangen, müssen wir uns einen Mandanten denken, der die Türken in seinem Sinne lenkt und imstande ist, auf höchster Ebene zuzuschlagen. Doch wer ist das?»

    Mit einem Mal wirkte der Abbé erschöpft. Ich schlug vor, zum Goldenen Adler zurückzukehren.
    «Wir wollen uns lieber hier an den Straßenrand setzen», antwortete er.
    Nie verließ den alten Spion die Angst, belauscht zu werden, dachte ich. Ich führte ihn zu der Treppe eines etwas vom Gehweg zurückliegenden und scheinbar seit Jahren geschlossenen Gebäudes, säuberte die Stufen mehr schlecht als recht vom Straßenstaub und half dem Abbé, sich niederzulassen.
    «Tausende könnten es sein, die die beiden Herrscher tot sehen wollen», hub Atto mit leiser Stimme an, «und jeder hätte einen anderen Grund.»
    «Die Seemächte Holland und England sind sehr daran interessiert, Österreich und Frankreich, die beiden Hauptgegner des Krieges, zu schwächen. Denn wer auch immer von beiden den Krieg gewinnt, wird eine vorherrschende Machtposition erringen, und das wollen sie verhindern. Wenn die antifranzösische Allianz gewönne und Karl, Josephs Bruder, in Spanien auf den Thron käme, hätten die Habsburger Europa von Osten nach Westen, von Wien bis Madrid im Griff und würden zu einem übermächtigen Herrscher.»
    «Genau das wollen die Engländer und Holländer mit diesem Krieg bei Frankreich verhindern», gab ich zu bedenken.
    «Akkurat, und nach elf Jahren Krieg ändert man seine Meinung nicht mehr. Inzwischen haben sie ihr Ziel, Frankreich unschädlich zu machen, fast erreicht. Das Land ist wirtschaftlich nahezu am Ende. Überdies hat sich der Enkel des Allerchristlichsten Königs nicht als so willfährig

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