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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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wie man einen Wirbelsturm furchtet, der Menschen und Dinge zerstört, doch von alldem nichts weiß, weil er kein Gewissen hat. Der Abbé hatte überdies recht: Die Türken waren immer ein Werkzeug in der Hand des Westens gewesen. Hatte mir nicht Simonis erzählt, dass auch der arme Maximilian II., der Schöpfer des Ortes Ohne Namen, ein Opfer des Verrats protestantischer Fürsten wurde, welche die osmanischen Heere gegen das Reich aufgehetzt hatten? Und was hatte jener Ratgeber Maximilians, Ungnad, getan, als er zwischen Wien und Konstantinopel hin- und herreiste, um die Türken im Sinne seiner Intrige gegen den Kaiser zu manövrieren?
    «Doch gerade weil die Osmanen eine blutrünstige Rasse und sofort zu Eroberungskriegen bereit sind», wandte ich ein, «ist es auch leicht zu verstehen, dass sie Europa überfallen wollen.»
    «Eine blutrünstige Rasse und sofort zum Krieg bereit?», fragte der Abbé rhetorisch zurück und machte wieder ein paar Schritte. «Ich könnte dir Dinge über das Osmanische Reich erzählen, die du dir nicht einmal vorzustellen vermagst. Weißt du, was die dere-bey sind?»
    «Die dere-was?»
    Wie jedes Reich, erklärte Atto, basierte auch das Osmanische auf einem feudalen System. Der Große Sultan, ein absoluter Herrscher, wurde in den Provinzen durch ein Netz örtlicher Feudalherren vertreten, die ihm jedoch keineswegs treu ergeben waren: die dere-bey.
    «Es sind grausame kleine Machthaber, die sich fortwährend gegen den Sultan auflehnen. Sie eignen sich die Steuereinnahmen an, die dem Sultan ausgezahlt werden müssten; sie weigern sich, dem Einberufungsbefehl der Zentralregierung Folge zu leisten, und rekrutieren stattdessen Truppen für ihr eigenes Heer; sie haben eine eigene Flagge und tragen eigene Uniformen, und oft ziehen sie sogar gegen den Sultan in den Krieg.»
    Fast ganz Kleinasien war unter einer Handvoll solcher dere-bey aufgeteilt. Von den gebirgigen Gegenden ganz zu schweigen, fuhr Atto fort, wo man nicht einmal dem Ruf zu den Waffen folgte.
    «Im Giaur-Daghda trägt kein einziger Gebirgsbewohner die Uniform oder zahlt auch nur einen Para in die Schatzkammer des Sultans, das heißt den vierzigsten Teil eines Piasters.»
    Wenn der Sultan versuchte, sie zum Gehorsam zu zwingen, flohen die Bergbewohner auf die Gipfel und ließen das feindliche Heer durch ihre verlassenen Ländereien irren. Oder sie stürzten sich massenhaft auf die Soldaten des Sultans, in einem Verhältnis von fünfundzwanzigtausend zu tausend, was im Allgemeinen genügte, um den Krieg zu beenden und den Frieden mit Konstantinopel wiederherzustellen. Zumindest bis zur nächsten Rekrutierungskampagne oder zum nächsten Steuertermin, wenn der Krieg unvermeidlich wieder ausbrechen würde.
    «Das Osmanische Reich hat einen Haufen solcher Völker. Jetzt verstehst du, wie absurd es ist zu behaupten, die Türken warteten nur darauf, benachbarte Nationen zu überfallen. Das Gegenteil ist wahr: Sie haben immense Probleme im Inneren, die jedwede kriegerische Aktion nach außen unvernünftig erscheinen lassen. Dass sie sich um jeden Preis in Europa auszubreiten trachten, wie sie es getan haben, indem sie Wien, Venedig oder Ungarn bedrohten, während ihr eigenes Reich schon wenige Meilen von Konstantinopel entfernt gänzlich unregierbar ist, bedeutet, dass ihr wichtigstes Ziel nicht die Erhaltung des Osmanischen Reiches ist, sondern die Vernichtung der Christen und ihrer Länder.»
    «Aber haltet Ihr das nicht auch für unvermeidlich? Es handelt sich um Menschen, die ganz anders sind als wir, die sich von Geburt an mit der christlichen Religion schlechterdings nicht vertragen.»
    «Auch das ist nicht wahr. In Konstantinopel leben sehr viele Christen und gehen ungehindert ihren Geschäften nach. Doch ich werde dir noch mehr sagen. Wie schon seine Vorgänger suchte sich auch Süleyman der Prächtige die hohen osmanischen Staatsbeamten durch das dev ş irme aus, die sogenannte ‹Knabenlese›. Das war eine Art Brutstätte von fünfzehntausend christlichen Knaben, die der Sultan alljährlich in Rumelien, dem europäischen Teil des Osmanischen Reiches, zum Beispiel in Ungarn, entfuhren und dann in Konstantinopel aufziehen ließ, weil er insgeheim glaubte, ihre geistigen Fähigkeiten seien denen der Türken überlegen.»
    Aus dem Reservoir dieser «Knabenlese» wurden dann jene ausgewählt, die zu den Janitscharen gehören sollten, dem Elitecorps an der Spitze des Heeres. Die Janitscharen hatten also allesamt nichts mit dem

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