Veritas
Briefes an seinen Großvater, den Sonnenkönig, geschickt. Der französische Herrscher war ebenso fassungslos. Doch auch sein Minister Torcy hatte den Brief geprüft und ganz anders reagiert.
«Torcy behauptete, Eugen habe einen solchen Brief niemals geschrieben. Eine derartige Torheit würde der Prinz von Savoyen nicht begehen: sich dem Feind anbieten und damit alles aufs Spiel setzen, was er im Dienst des Reiches mühsam an Ruhm, Macht und Reichtum errungen hatte.»
Der Minister des Allerchristlichsten Königs war überzeugt, dass es sich um eine von Eugen selbst gestellte Falle handelte; eine List, die seiner Meinung nach gut zu dem unaufrichtigen Wesen des Feldherrn passte. Sobald Eugen eine positive Antwort der Franzosen auf sein Angebot erhielt, hätte er ein Komplott gegen seine Person angezeigt, angezettelt von einem Verschwörer in Wien, der mit dem Feind gemeinsame Sache machte.
«Und hatte Torcy recht?»
«Ja und nein. Der Brief war tatsächlich gefälscht, wie er behauptet hatte. Aber Eugen hat ihn nicht in Auftrag gegeben, im Gegenteil, er weiß nichts von der ganzen Geschichte.»
«Wer hat also …»
Ich blieb stehen und hielt den Atem an. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Fragend riss ich die Augen auf. Attos Schweigen war ein unmissverständliches Geständnis.
«Ich hatte gehofft», sprach er mit gesenktem Kopf weiter, «dass die französischen Geheimagenten in Wien dem Kaiser diesen Brief übermitteln würden. Ja, ich hatte mich schon darauf eingerichtet, persönlich hierherzukommen und die Operation zu leiten. Doch dann geriet die Angelegenheit ins Stocken. Torcy hatte Ihre Majestät leider überzeugen können, nichts zu unternehmen. Ich habe mich nie gut mit diesem Minister verstanden: Er ist allzu umsichtig.»
Nun blieb ihm nichts anderes übrig, erklärte Atto, als nach Wien zu reisen und Joseph I. oder einer Mittelsperson, wie der Pálffy, den Brief zu übergeben.
«Frankreich will Frieden? Ich versuche, ihm den zu verschaffen», sagte er, «und wenn niemand mir dabei hilft, nun gut, dann arrangiere ich mich.»
Auf diese Worte folgte erneut Stille, unterbrochen nur durch unsere Schritte auf dem Pflaster, die Schreie einer Schar Fangen spielender Jungen, das gedämpfte Lachen der lustwandelnden Damen, das Rattern einer Kutsche, die um die Ecke bog. Dieses Schweigen zwischen mir und Atto sagte alles: Es sprach vom Niedergang des Abbé Melani, von seinem verzweifelten Versuch, die politischen Geschehnisse zu beeinflussen, von der Gleichgültigkeit des Königs (der den Vorschlägen seiner Minister dagegen Aufmerksamkeit schenkte), von der Einsamkeit des alten Ratgebers der Krone, seiner Ohnmacht und von seinem zähen Willen, sich nicht geschlagen zu geben.
«Noch suchen die ausländischen Minister natürlich meine Vermittlung, um eine Geheimaudienz beim König zu erhalten, wo sie über besonders vertrauliche Dinge sprechen möchten. Ein zuverlässiger und bei Hofe geschätzter Mittelsmann findet sich nicht so leicht», sagte Melani mit neu aufloderndem Stolz. «Doch etwas anderes ist es, dem König die eigenen Ratschläge zu unterbreiten und ihn vom richtigen Tun zu überzeugen.»
Es war eindeutig: Atto, treuester Diener des Königs, war zwar noch eine gute Verbindung, wenn man Audienz beim König oder seinen Ministern erhalten wollte. Doch seine Meinung galt bei Hofe nichts mehr. Er hatte versucht, noch einmal ein Kapitel der Geschichte Europas zu schreiben, wie er es in der Vergangenheit vermocht hatte. Diesmal hatte er jedoch auf eigene Faust handeln müssen: In Versailles hörte niemand mehr auf den alten Kastraten. Für diesen Coup hatte er zunächst Eugens gefälschten Brief von einem geschickten Kalligraphen (vor elf Jahren war mir ein solcher in Attos Diensten begegnet) schreiben und ihn dann dem spanischen König zustellen lassen müssen.
Ich kannte die Methode Abbé Melanis, es war dieselbe, die er vor elf Jahren angewandt hatte, als er das Testament des sterbenden Königs Karl II., des letzten spanischen Habsburgers, hatte fälschen lassen. Diese Fälschung hatte es einem französischen Bourbonen gestattet, den spanischen Thron zu besteigen. Wer hatte das Blatt mit der gefälschten Unterschrift seinerzeit nach Spanien gebracht? Auch ich war ihr begegnet: die alte Freundin Atto Melanis, Madame Konnetabel Maria Mancini, die Tante Eugens von Savoyen, ehemalige Geliebte Ludwigs XIV. und lange Zeit französische Spionin am spanischen Hof. Mit Händen hatte ich ihre und Attos
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