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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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ich Simonis ein letztes Mal rufen. Dann ertönte ein lauter Knall, und eine Sintflut erbrach sich in das Stadion.

    Wie im Traum eines Wahnsinnigen wurde mit explosionsartiger Geschwindigkeit die gesamte Schöpfung aus der Tür hinter den Käfigen ausgespien, als hätte ein launenhafter Gott hinter diesem Eingang das tierische Leben aller Zeiten und Orte zusammengedrängt. Eine chaotische Masse aus Fleisch, Blut, Muskeln, Krallen, Mähnen, Fellen und Zähnen brach mit Getöse in das Stadion ein und breitete sich augenblicklich darin aus, wie Gips, der in klares Wasser gegossen wird. Die Erde bebte unter den Tritten eines gewaltigen grauen Rüsselwesens, gefolgt von dem Dröhnen stampfender Stiere, von Panthern, die mit ihrem dunklen Fell das Licht ringsumher aufzusaugen schienen wie dämonische schwarze Sterne, von Tigern, die fächerförmig auseinanderliefen wie die Tentakeln einer einzigen, polypenartigen Raubkatze, von Luchsen, die von der Kraft, mit der die Detonation des Lebendigen sie auf den Ballspielplatz geschossen hatte, durch die Luft zu wirbeln schienen.
    Die Vogelkäfige zerbarsten wie Holzhütten im Sturm; diejenigen geflügelten Wesen, welche von dem Aufprall der Tür nicht sofort getötet oder von den in das Stadion stürmenden Bestien nicht zertreten worden waren, flogen auf und erfüllten die Luft mit einer irrwitzigen vielfarbigen Wolke. Der riesige Bär aber, der uns kurz zuvor noch angegriffen hatte, war auf einmal nichts mehr.
    Woher kam der Elefant, der die Tür aufgebrochen und die ganze Schar der Tiere anführte? Warum liefen die Raubtiere frei herum? Wie waren sie hinter die zweite Tür des Stadions gelangt? Keine dieser Fragen hatte Bedeutung. Denn während das tollwütige Gebrüll mir Kopf und Ohren schier zerschmetterte, sah ich ein ganzes Rudel Raubtiere auf mich zukommen, und meine Beine liefen wie von selbst in Richtung auf die einzige, wiewohl aberwitzige Fluchtmöglichkeit.
    «Simonis!», schrie ich, ohne meine eigene Stimme zu hören, da sie vom mächtigen Trompeten des Elefanten übertönt wurde. Er hatte begonnen, im Halbkreis um das Fliegende Schiff herumzulaufen, von den Vögeln in dichten Schwärmen umflattert, während die Löwen einen Kampf mit den Bären aufnahmen und die Mauern des Stadions mit ihrem hasserfüllten Gebrüll zum Erzittern brachten.

    Nie werde ich erfahren, wie ich dorthin gelangte, denn die Panik ist dem Gedächtnis feindlich. Mir ist, als hätte ich von dem Moment an, da der Elefant und sein bestialisches Gefolge in das Stadion einbrachen, ununterbrochen geschrien, bis ich mich, nachdem ich es mit affengleicher Geschwindigkeit erklommen, außer Atem und mit wunder Kehle an Bord des Fliegenden Schiffes wiederfand. So übermächtig war mein Entsetzen, dass ich erst, als ich sah, wie Simonis den Abbé auf das Schiff zu ziehen versuchte, wieder halbwegs zur Besinnung kam.
    Ganz in der Nähe zerfleischte ein Bär etwas, das aussah wie ein großer Fasan, gleich darauf stürzten zwei Löwen herbei, verscheuchten den Bären mit Drohgebärden und fielen über die Beute her.
    «Hier bin ich!», rief ich, auf meinen Gehilfen zulaufend.
    Bei dem Versuch, auf das Schiff zu klettern, war Atto übel gestürzt, und Simonis musste ihm nun vom Boden hochhelfen, um ihn an Bord zu bekommen. Natürlich hätten die Tiere uns in das Schiff folgen können, doch vorerst war es besser als nichts.
    Unterdessen musste der Geruch des Blutes der von Bären und Löwen getöteten Vögel den anderen Tieren zu Kopfe gestiegen sein; überall brachen Kämpfe zwischen den aggressivsten Raubtieren aus. Gerade zerriss ein gestaltloses Gewirr aus Köpfen, Hauern, Krallen und schnaubenden Nüstern Bauch und Geschlecht eines armen Ochsen, der auf die Hinterbeine gesunken war und die Augen im letzten Seufzer seines Todeskampfes zum Himmel hob.
    Mit großer Mühe zogen Simonis und ich Abbé Melani langsam auf das Schiff. Ich sah, wie Attos fahle Lippen sich in einem stummen Gebet bewegten – wenige Schritte von uns entfernt knurrte ihn eine Löwin zornig an, die nur von dem närrischen Kreislauf, den der Elefant um das Fliegende Schiff vollführte, in Schach gehalten wurde.
    Es war uns fast gelungen, uns selbst und den Abbé auf einen der Flügel zu ziehen, als ich einen scharfen, grausamen Hieb gegen meinen Kopf verspürte und dann tausend Stacheln, die meine Haut im Nacken und an den Schläfen marterten. Eine kleine Wolke irregewordener Vögel hatte sich auf uns gestürzt, und ein junger

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