Veritas
bildete, wie schon beim vorherigen Flug, ein gedämpftes Brausen: Das war die Luft, die durch die Röhren im Bauch des Schiffes strömte! Am Heck begann die Fahne mit den Insignien des Königreichs Portugal fröhlich unter dem peitschenden Winde zu knattern.
«Simonis!», schrie ich und erhob mich endlich von den Planken des Schiffsbodens, wo ich mich flach ausgestreckt hatte, um dem tödlichen Sprung des Panthers zu entkommen.
«Herr Meister!», antwortete er mir und stand ebenfalls auf. Sein Gesicht leuchtete von trunkener Begeisterung.
«Es fliegt wieder, Simonis, jetzt fliegt es wieder!», rief ich vor dem erstarrten Abbé Melani aus und umarmte, glücklich über die überstandene Gefahr, meinen Gehilfen, während wir von unten das Grunzen der Bestien hörten, denen wir mit unserem Abflug einen üblen Streich gespielt hatten.
Ich betrachtete Atto: Er trug die Brille mit den schwarzen Blindengläsem nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er sie in dem Hexenkessel verloren, dem wir soeben wunderbarerweise entronnen waren. Er stand ebenfalls auf den Beinen und hatte eine Hand auf das linke Ohr gelegt, als müsse er sich vor der Hymne des Schiffes schützen. Mit der anderen Hand hielt er sich an den vertikalen Stangen fest, welche die Streben mit den Bernsteinen über unseren Köpfen stützten.
Das Gesicht des Abbé Melani war, bis auf die violetten Abdrücke der Gläser, von einer wächsernen, irrealen Blässe. Es schien, als hätte ein verrückter Maler ihm zum Scherz das Gesicht mit Bleiweiß bestachen, Asche auf die Augenhöhlen und die krumme Nase gestreut und ihn so in ein Abbild des Pulcinella verwandelt. Mit verdrehten Pupillen starrte er hinaus in die Tiefe.
«Aber ich … wir … wir fliegen!», stammelte er fassungslos, dann verlor er das Bewusstsein und ringelte sich wie eine vertrocknete Schlangenhaut auf dem Schiffsrumpf zusammen.
Da begriff ich, was ich vielleicht immer geargwöhnt hatte: Atto konnte sehen.
Mein Gehilfe – er war immerhin Student der Medizin – tastete seinen Puls, untersuchte die nach innen gedrehten Pupillen und ließ Atto schließlich dank einiger schallender Ohrfeigen wieder zu Bewusstsein kommen.
Die Perücke schief auf dem Haupt, die wenigen eigenen Haare vom erbarmungslosen Wind gepeitscht, blickte Abbé Melani mich aus hervorquellenden Augen und mit dem verzerrten Mund einer tragischen Maske an. Er stieß ein tiefes, monotones «Oooh» aus, ein Mittelding zwischen Röcheln und Ausruf der Verwunderung. Von Simonis gestützt, näherte er sich der Brüstung, dann kehrte er zurück, beugte sich gleich darauf aber wieder hinüber, und so ging er zwei- oder dreimal hin und her, bestürzt über die schwindelerregende Höhe, in der wir uns jetzt befanden.
Von unten brüllten Löwen, Tiger und Bären uns ihre ohnmächtige Wut hinterher; wie eine Drohgebärde reckte der Elefant seinen Rüssel in die Höhe; die Vögel, noch immer begierig auf Tumult, umflatterten uns, angelockt von unserem Gefährt, das leicht in der Luft schwebte, obwohl die Flügel unbeweglich blieben. Es mag Einbildung gewesen sein (ja, das war es gewiss), doch als ich die Augen schärfte, entdeckte ich dort unten den Panther, den Simonis mit dem Besen in Schach gehalten hatte, und mir schien, als blitzte in seinen weit entfernten Augen ein stummes Versprechen glühenden Hasses auf.
«Ja, Signor Atto, wir fliegen», bestätigte ich ihm, «und Ihr könnt sehr gut sehen, wie es scheint.»
«Meine Augen sehen, ja», gestand er, während er seinen Blick über den Horizont schweifen ließ, ohne darauf zu achten, was er sagte, so überwältigt war er von dem imposanten Anblick, der sich uns ringsum bot.
Starr und reglos durchschnitt Atto Melanis Nase die Luft, ähnlich dem hölzernen Adlerkopf des Fliegenden Schiffes, der sich geheimnisvoll in die Unendlichkeit vorstreckte.
«Könnte … könnte man nicht ein wenig tiefer fliegen?», bat er.
Simonis und ich sahen uns an.
«Ja, Signor Atto, versucht Ihr doch einmal, ihm das ins Ohr zu flüstern!», sagte ich, auf den adlergleichen Kopf am Bug des Schiffes zeigend, und die unerträgliche Spannung, die mich schier zerriss, entlud sich in einem höhnischen Gelächter. «Euch gehorcht er ja vielleicht.»
Simonis stimmte in das befreiende Gelächter ein, und als wir uns beruhigt hatten, erklärten wir Atto, dass dies nicht unser erster Flug war, denn vor zwei Tagen hatten wir das unbegreifliche Vermögen des Fliegenden Schiffes schon einmal erfahren.
«Du hast alles
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