Veritas
Frankreich Ludwigs XIV. triumphieren.
Doch die Frage, die Atto am meisten beschäftigte, war, wie zum Teufel die Bernsteine es vermocht hatten, die Sonate für Basso solo von Gregorio Strozzi zu spielen?
«Warum interessiert Euch das so sehr?», fragte Simonis.
«Was geht dich das an?», erwiderte Melani unhöflich. Die ständige Gegenwart meines Gesellen machte ihn nervös.
Der Grieche verlor nicht die Fassung.
«Warum seid Ihr jetzt nicht mehr blind?», stichelte er mit der dümmsten Miene der Welt.
«Hör mal, Junge», sagte Atto zu mir, seinen Ärger mühsam unterdrückend, «ich rate dir, deinen Werkstattgesellen loszuschicken, damit er aus gebührender Entfernung einen kurzen Blick auf diese verlassene Hütte, wie heißt sie noch gleich?, Neugebäu, wirft. Wir müssen herausfinden, ob die Lage sich beruhigt hat.»
Der Abbé wollte meinen Gehilfen loswerden, er war ihm lästig.
«Draußen regnet es immer noch in Strömen, Signor Atto», wandte ich ein. «Vorzüglich aber würde auch ich gerne etwas mehr über die wunderbare Wiedergewinnung Eures Augenlichts an Bord des Fliegenden Schiffes erfahren.»
Atto senkte den Blick.
Ich griff ihn mit Fragen an. Warum hatte er die ganze Zeit diese schwarzen Gläser auf der Nase getragen? Wollte er so vielleicht leichter über die Grenze kommen und in der Kaiserstadt unbeobachtet bleiben?
«Aber was soll ich denn anderes machen mit diesen Blutsaugern, meinen Verwandten?», hub der Abbé an.
«Euren Verwandten?», frage ich verwundert.
«Meine Neffen, ja, diese Profiteure. Glaub nur nicht, dass ich gut sehe. Alles andere als das, der graue Star wird immer ärger. Darum hat mein Medikus in Paris mir geraten, mich immer in Grün und Schwarz zu kleiden, zwei Farben, die die Augen heilen, wie er sagt. Und aus dem gleichen Grunde schlafe ich mit bloßen Füßen, sogar im Winter – das soll sehr gut für die Sehkraft sein. Was den Rest betrifft, geht es mir, Deo gratias, sehr gut.»
Abgesehen von den güldenen Adern und dem Steinleiden, erläuterte Atto, sei er in seinem ehrwürdigen Alter immer noch gesund an Leib, Seele und Geist. Das einzige Problem seien seine Neffen aus Pistoia. Nichts anderes täten sie, als immerfort Geld zu verlangen.
«Geld, Geld, immer nur Geld! Sie möchten, dass ich zwei kleine Landgüter in Pistoia kaufe, nach denen es sie gelüstet, und dass ich dafür das Depot auflöse, das ich auf dem Monte del Sale besitze. Aber mit den Alemannen vor der Tür würde man mir höchstens drei Prozent geben! Und sie wünschen, dass ich auf dem Gut in Castelnuovo die Fässer mit Eisen beschlagen lasse. Meine Güte, welch ein Luxus, glauben sie denn eigentlich, dass ich das Geld auf der Straße finde?»
Erstaunlich, Atto schien die wundersamen Vermögen des Fliegenden Schiffes schon wieder vergessen zu haben und wetterte stattdessen gegen seine Verwandten: Offenbar schätzten seine Neffen nicht besonders, was der alte Herr Onkel für die Familie tat, denn jeder sah nur auf den eigenen Vorteil.
«Sie haben sogar die Impertinenz besessen, mich um das Geld für den Erwerb einer ganzen Bibliothek zu bitten! Darauf habe ich geantwortet, dass ich vielleicht bald derjenige bin, dem sie Geld schicken müssen! Ergebnis: Sie lassen nichts mehr von sich hören. Feine Dankbarkeit. Und das, wenn man bedenkt, dass ich ganze vier Jahre lang einen Vermittler bezahlt habe, damit er eine Frau für Domenicos Bruder Luigi sucht, die seiner in Abstammung und Mitgift würdig ist! Sie haben sich erst wieder an mich erinnert, als das richtige Mädchen gefunden war. Denn sie besaßen die Unverschämtheit, mich zu bitten, ihr das Hochzeitskleid aus Paris zu schicken, diese Knauser! Ich habe geantwortet, das Kleid komme gewiss nicht mehr rechtzeitig zur Hochzeit an, und vorgeschlagen, die gleiche Schneiderin zu nehmen wie die Durchlauchtigste Fürstin der Toskana und ihre Hofdamen. Dann habe ich ihnen erlaubt, die Diamanten aus einem Porträt in meiner Galerie zu nehmen, um daraus zwei Ohrgehänge und ein kleines Kreuz für eine Halskette aus schwarzer Seide fertigen zu lassen. Aber das war ihnen nicht genug, o nein!»
Der Abbé redete wie ein Wasserfall. Ich hatte den Eindruck, in Wirklichkeit wolle er über andere Dinge mit mir sprechen und wartete nur auf den Moment, da Simonis von der Bildfläche verschwand.
«Aber nein, sie bestanden auf dem Hochzeitskleid», fuhr Atto unterdessen fort, «und ließen ganz außer Acht, dass die Galeote, die den Kurier von Lyon nach Genua
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