Veritas
fiebriges Zittern, das Vorspiel zur Katastrophe. Hätten wir Schießpulver an Bord gehabt, ich hätte schwören können, dass wir binnen Kürze in die Luft geflogen wären.
«Mein Gott, wir sind alle tot!», hörte ich Abbé Melani flüstern, der Simonis wie ein kleines Kind umarmt hielt.
Ich richtete mich auf und ging schwankend zur Brüstung, um einen Blick nach draußen zu werfen. Endlich hatten wir die Richtung gewechselt. Nachdem es zunächst höher gestiegen war, hatte das Fliegende Schiff einen Sinkflug zur linken Seite begonnen; jetzt zielte es auf eine Ecke in der Simmeringer Haide, einen mit Gras bewachsenen, freien Platz nordöstlich vom Ort Ohne Namen. Dort, dessen war ich gewiss, würden wir abstürzen.
Während wir uns auf den Aufprall vorbereiteten, wurde der Regen zu einem kräftigen Gewitter. Besser so, vielleicht würde auf diese Weise niemand unserer Landung zusehen. Einige Sekunden lang verwandelte ein Blitz unser Segel in einen silbernen Halbmond, der aus seinem Himmelsabschnitt gefallen war und nun auf dem einzigen Zipfel Erde niederging, der willens war, ihn zu beherbergen.
«Haltet euch gut fest!», schrie ich, während der Bauch des Fliegenden Schiffes schon Baumwipfel und Pflanzen streifte und sich zum Aufprall anschickte. Gerade als in der Nähe ein lauter Donner losbrach, spürte ich den ersten Kontakt mit dem Boden und schlug ein Kreuzzeichen.
«Wozu dienen die Bernsteine? Wie kommt es, dass sie auf diese Weise erklingen? Kann jemand von euch mir das erklären?»
Tropfnass, ermattet, aber lebendig waren wir gelandet. Zu unserer Überraschung hatte sich die Ankunft auf der Erde in einem leichten Hüpfen erschöpft; das Fliegende Schiff hatte Kontakt mit dem Boden aufgenommen, ohne zu zerschellen oder kopfüber umzustürzen, und es hatte genügt, sich gut festzuhalten, um nicht herauszupurzeln.
Kaum war er zu Boden gesunken, hatte der gefiederte Segler sich wieder in die Lüfte erhoben und Kurs auf den Ort Ohne Namen genommen.
«Vielleicht kehrt er ins Ballspielhaus zurück», vermutete Simonis.
Während das Schiff sich entfernte, hatte ich ihm einen letzten Blick nachgeschickt: Würde ich es je Wiedersehen?
Unser Landeplatz lag nicht weit vom Weinkeller des Himmelpfortklosters entfernt. Auf unserem Weg dorthin waren unsere Füße bis zu den Knöcheln im Schlamm der Felder versunken. Was nach unserer Flucht in den Himmel am Ort Ohne Namen geschehen war, wussten wir nicht. Ob die Tiger und Löwen immer noch frei herumliefen?
Jetzt trockneten wir unsere Kleider in dem kleinen Salon des Kellers vor dem Feuer. Zum Glück war uns auf dem kurzen Fußmarsch niemand begegnet: Denn was taten zwei Rauchfangkehrer mitten auf dem Land, in Gesellschaft eines hinfälligen, kahlköpfigen Greises (der Abbé hatte seine Perücke verloren) mit Bleiweiß im Gesicht und karmesinroten Wangen? Tatsächlich wirkte Atto, dessen Miene vom Schrecken der Ereignisse noch verzerrt war, die dunklen Kleider schmutzig und zerrissen, der Rücken gebeugt und der Gang schwerfállig, wie ein übel zugerichteter, aus einer Phantasiewelt geflüchteter Elfe.
Nun aber saßen wir in der behaglichen Wärme des Feuers, die Hände um einen schönen Kelch heißen Weines gelegt, halbnackt, derweil unsere über dem Kamin hängenden Kleider trockneten, und besprachen die Situation. Abbé Melani hatte seine Geistesgegenwart zurückgewonnen und bestürmte uns mit einem Hagel von Fragen.
Welche Funktion hatten die den Rumpf formenden Röhren, durch die geräuschvoll ein Luftstrom floss? Waren sie es womöglich, welche die notwendige Kraft zum Fliegen gaben? Und warum lief das Schiff unter portugiesischer Flagge?
All diesen Fragen hatten wir nichts entgegenzusetzen als unsere traurige Unkenntnis, der nur die Einbildungskraft Linderung verschaffte. Die Röhren schienen in der Tat als Antriebskraft zu dienen, obwohl wir keinerlei Beweis dafür hatten. Die Fahne des Königreichs Portugal indes hatte mit der Herkunft des Schiffes zu tun. Die zwei Jahre alte Gazette, die Frosch mir gezeigt hatte, berichtete, dass das Luftschiff aus Portugal gekommen war. Das stimmte mit Ugonios Informationen überein: Das Fliegende Schiff war auf Wunsch der Königin von Portugal, der Schwester des Kaisers Joseph I., mit dem Auftrag nach Wien geschickt worden, den Goldenen Apfel, der auf ungeklärten Wegen aus östlichen Landen nach Portugal gelangt war, auf die Turmspitze des Stephansdoms zu setzen. Nur so würde das Reich im Krieg gegen das
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