Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
Vom Netzwerk:
Orchestermusiker mit einem blaugoldenen Läuten, und eine unwiderstehliche Süße verbreitete sich über das ganze Schiff. Den wunderlichen Symphonien verwandt, welche man kurz vor dem Einschlafen vernimmt, erklangen nun unbeschreibliche konzertante Wonnen im Fliegenden Schiffe, und ich wusste, dass Simonis und Atto sie mit mir teilten und dass sie wie ich davon berauscht wurden. Ich musste nicht einmal fragen: «Hört ihr das auch?», weil all das um uns und in uns war.
    « Soli soli soli … Vae soli », murmelte Atto. «Diese Bernsteine … Ich kenne dieses Motiv. Es ist eine Sonate für Basso solo von Gregorio Strozzi. Aber wie können sie …»
    Er hielt kurz inne, dann reckte er sich zu unserem Erstaunen kerzengrade in die Höhe, krümmte sich wieder, und kurz bevor er nach hinten fiel, rief er:
    « Vae soli , quia cum ceciderit , non habet subblevantem se !», skandierte er mit Stentorstimme zu den Steinen gewandt, welche bunte Arabesken aus Licht auf sein Gesicht zeichneten.
    «O Gott, ihm wird übel!», rief ich meinem Gehilfen zu, das Schlimmste fürchtend, während wir beide herbeiliefen, ihn zu stützen, damit er nicht auf dem Schiffsboden aufschlug.
    «Der Ekklesiast. Er zitiert aus dem Ekklesiasten!», sagte Simonis, der ebenfalls außer sich war, doch, wie mir schien, eher wegen der Worte, die Atto gesprochen hatte, als wegen seiner körperlichen Verfassung.

    Wir legten den Abbé auf die Bohlen des Schiffsbodens. Er war nicht ohnmächtig geworden, schien aber auch nicht bei klarem Bewusstsein. Bevor er fiel, hatte er mit seinen welken Fingerspitzen einen der Bernsteine gestreift, und die Musik hatte augenblicklich ausgesetzt, um nur das ursprüngliche Rauschen zurückzulassen. Simonis rieb dem alten Abbé Schläfen, Brust und Füße.
    «Wie geht es ihm?», fragte ich ängstlich.
    «Seid unbesorgt, Herr Meister. Er ist erschüttert, erholt sich aber schon wieder.»
    Ich seufzte erleichtert, doch insgeheim verfluchte ich den Aga und den ewig kränkelnden Domenico. Recht bedacht, war es verrückt gewesen, den Abbé mit zur Arbeit zu nehmen. Hätten wir natürlich gewusst, was uns im Ort Ohne Namen erwartete …
    «Wir kehren zurück», beobachtete der Grieche, «wir verlieren bereits an Höhe.»
    Das Fliegende Schiff sank. Der Adlerkopf am Bug, dessen leere, hölzerne Augen in die Unendlichkeit starrten, hatte seinen Schnabel schon auf die Felder von Ebersdorf und Simmering gerichtet.
    Würden wir erneut im Ballspielhaus landen? Wenn ja, kämen wir dann heil davon? Unterdessen war Atto wieder bei Sinnen.
    «Wir müssen den Kurs ändern!», rief ich.
    Die ersten Versuche waren vollkommen fruchtlos. Wir begannen damit, dass wir uns vorsichtig alle drei auf eine Seite des Schiffes stellten, dann auf die andere, in der Hoffnung, damit eine Veränderung der Flugrichtung zu bewirken, doch vergebens.
    «Es fällt stracks und unbeirrt wie ein Stein», bemerkte mein Gehilfe. «Der einzige Unterschied: Es ist langsamer.»
    Auch als wir uns alle am Bug und am Heck zusammendrängten, schienen wir die Fahrtrichtung des Schiffes nicht sonderlich zu beeinflussen. Erst in diesem Moment kam mir eine Idee. Was hatte Penicek von dem Jesuiten Francesco Lana und dessen Experimenten erzählt? Um sein Schiff in diese oder jene Richtung zu steuern, hatte er ein System aus Zugstangen ersonnen. In unserem Falle musste man aufs Geratewohl vorgehen, doch den Versuch lohnte es allemal.
    Ich reckte mich in die Höhe und zupfte an einer der Stangen, an denen die Bernsteine hingen. Die gelblichen Brocken hüpften unordentlich auf und ab, ohne ihr undefinierbares himmlisches Surren einzustellen, während die Stange wie eine Lautensaite vibrierte. Diese leise, formlose Melodie zu stören war, als würde man in den natürlichen Lauf der Dinge eingreifen. Eine numinose Ahnung ließ mich blitzartig erkennen, dass das Fliegende Schiff und die Musik der Bernsteine ein und dasselbe waren, und mir schien, als sei dies immer schon so gewesen und könne anders nicht sein. Wie absonderlich es auch anmuten mochte, dieses dunkle Empfinden war keine Illusion: Zu meinem größten Erstaunen vollführte das Schiff nach einigen Augenblicken eine Wendung nach links, dann nach rechts und dann wieder nach links.
    «Jesus, hilf uns! Was geschieht jetzt?», rief Abbé Melani aus, prompt Simonis’ Arm umklammernd.
    Es ist also wahr, dachte ich, die Bernsteinstücke waren in gewisser Weise mit dem Antrieb des Schiffes verbunden. Welche Art Verbindung das war,

Weitere Kostenlose Bücher