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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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konnte ich noch nicht wissen (und erwartete auch nicht, es je zu entdecken), doch vorerst genügte es mir, auf die Bewegung des Schiffes Einfluss nehmen zu können. Da bemerkte ich, dass der Himmel, der seit Beginn des Tages heiter gewesen war, sich jäh verfinstert hatte. In Wien gestaltet sich der Wechsel von Sonne und Wolken anders als in Rom: In der Stadt der Päpste ist er wie ein friedlicher Dialog zwischen Gelehrten, in Wien wie der Streit zweier misstrauischer Liebender: Alle drei Minuten verkehren sich die Fronten, Recht und Unrecht überschneiden sich ohne Maß und Ordnung.
    «Haltet euch gut fest», warnte ich meine beiden Reisegefährten und wiederholte das Experiment, wobei ich dieses Mal ein wenig stärker an der Zugstange mit den Bernsteinen rüttelte.
    Ich hatte übertrieben. Der Segler der Lüfte erbebte heftig, der Bug begann, in waagerechter Richtung hin- und herzuschwanken, als versuche der Raubvogelkopf, zu seiner Fahrtrichtung zurückzufinden. Sich auf den Beinen zu halten wurde nun zu einem schwierigen Unterfangen.
    «Treiben wir es nicht ein wenig zu weit, Herr Meister?», protestierte Simonis besorgt, während Abbé Melani sich mit seinen knöchrigen Händen an ihm festkrallte.
    Nachdem ich meinen Kameraden in der Not genug Zeit gegeben hatte, sich gut festzuhalten, unternahm ich weitere, vorsichtigere und konzentriertere Versuche, immer bedacht, die Gefahr, von den Schwankungen des Schiffes in den Abgrund geworfen zu werden, geringzuhalten.
    Unterdessen verringerte sich zunehmend unsere Flughöhe und mit ihr der Abstand zwischen uns und dem Ort Ohne Namen, welcher sich schon deutlich in der großen Ebene der Simmeringer Haide abzeichnete. Die ersten Regentropfen fielen.
    «Herr Meister, es hat den Anschein, als kehrte das Schiff in seinen Hafen zurück», unterrichtete mich Simonis.
    Ich kontrollierte die Lage: Wir steuerten geradewegs auf das Stadion zu. Noch konnte ich nicht sehen, ob die wilden Tiere uns im Inneren des großen Rechtecks erwarteten; auf jeden Fall aber war es sehr wahrscheinlich, dass einige der Bestien hungrig umherstreiften, wenn nicht im Ballspielhaus, dann zweifellos in der Umgebung. Zumindest eines der Raubtiere verlangte gewiss, uns wiederzusehen: der Panther, den Simonis mit dem Besen am Auge verletzt hatte.
    Die Tropfen am Himmel wurden schwarz und vermehrten sich. Nun war keine Zeit mehr zu verlieren.
    «Was zum Teufel willst du mit den Stangen machen, Junge?», fragte Abbé Melani mit besorgter Miene.
    «Verhindern, dass wir im Maul einer Großkatze landen.»
    Weder Simonis noch Atto hatten dagegen etwas Sinnvolles einzuwenden. Es lag auf der Hand, dass schnell eine Lösung des Problems gefunden werden musste. Wir flogen nicht mehr sehr hoch; also zog ich an drei oder vier Zugstangen gleichzeitig und ließ sie losschnellen wie einen Bogen.
    Das Schiff erfuhr eine so starke Erschütterung, dass ich gewiss gefallen wäre, hätte ich mich nicht mit aller Kraft festgehalten. Atto und Simonis hatten sich am Boden hingekauert. Immer noch steuerten wir auf das Ballspielstadion zu. Welch einen unwürdigen Steuermann hatte das Fliegende Schiff in mir gefunden! Die erhabene Arche der Wahrheit, das edle Segelschiff, das aus dem äußersten Westen gekommen war, um Österreich zum Sieger im Krieg zu machen, das Gefährt, welches die höchste Spitze des Stephansdoms mit dem Goldenen Apfel krönen sollte, war jetzt ein Opfer meiner plumpen Sabotageversuche. Nachdem uns das Schiff gerettet hatte, verrieten wir es, indem wir versuchten, den natürlichen Verlauf seines Fluges umzulenken und es auf den Boden zu zwingen. Vom Regen durchnässt, reckte ich mich in die Höhe und zog erneut, noch stärker.
    Jetzt war das Schwanken so heftig, dass auch ich das Gleichgewicht verlor, hinfiel und entsetzt erwartete, wir würden auf der Stelle abstürzen. Atto und Simonis fluchten beide. Ich hatte nicht einmal den Mut, unseren Kurs zu kontrollieren, denn ich fürchtete, der nächste unerwartete Rückstoß des Schiffs würde mich über Bord werfen. Nachdem ich mich erhoben hatte, klammerte ich mich an die Zugstangen und zog abermals mit Gewalt daran. Endlich geschah es.

    Das Surren der Steine hatte aufgehört. Ich blickte nach oben: Die gelbbraunen Brocken vibrierten nicht mehr aus eigener Kraft; es war, als zehrten sie jetzt von einer Art Restenergie. Das ganze Fliegende Schiff bebte wie ein riesiger Vogel, der an einem lebenswichtigen Organ getroffen worden war. Es war ein leidendes,

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